Jörg Magenaus Roman „Liebe und Revolution“
Rundherum desillusioniert
„Den Literaturkritiker versuchte ich draußen zu lassen, der darf am Ende vielleicht 'mal zugucken“, hatte Jörg Magenau kürzlich in einem Radiointerview nach Erscheinen seines zweiten Romans erklärt.
Magenau, 1961 in Ludwigsburg geboren und heute abwechselnd in Tübingen und in der Uckermark lebend, ist ein vielbeschäftigter Literaturkritiker. In jungen Jahren hat er als TAZ-Redakteur gearbeitet und später brillante biografische Bücher über Martin Walser, Christa Wolf, Gottfried Benn, die Brüder Ernst und Georg-Friedrich Jünger sowie über die Freundschaft zwischen Siegfried Lenz und Helmut Schmidt geschrieben.
Der Romantitel setzt zwei thematische Fixpunkte. Wir erleben als Leser an der Seite des Protagonisten Paul die späten 1980er Jahre mit allerlei revolutionären Ideen und amourösen Abenteuern. Vor allem ist dieser Roman aber ein Buch des Scheiterns, denn der revolutionäre Elan verpufft irgendwann, und ihr Liebesglück findet die Hauptfigur auch nicht.
Paul, der aus Lippstadt stammt, wo seine Eltern eine Wäscherei betreiben, bricht als Philosophiestudent von Berlin nach Nicaragua auf – geschult vom Philosophieprofessor Wolfgang Fritz Haug und mit Peter Weiss' „Ästhetik des Widerstands“ im Hinterkopf. Haugs Vorlesungen „Einführung ins Kapital“ bezeichnet er als „nie wieder erreichte Höhepunkte des Studiums.“ Als Entwicklungshelfer tritt er in Nicaragua an, um die Welt (nach seinem Gusto) gerechter zu machen, obwohl er „wusste, dass er kein Draufgänger“ war. Seine Partnerin Beate, die er liebt, aber von der er vermutet, nicht zurück geliebt zu werden, bleibt zurück im pulsierenden Berlin.
In einer Brigade internationaler Helfer ist Paul beim Aufbau einer Werkstatthalle für eine Textilkooperative tätig. Jörg Magenaus Nicaragua-Bild schwankt zwischen Begeisterung und Entsetzen. Er beschreibt mit viel Liebe zum Detail die miserablen Wohnverhältnisse in der Gastfamilie und das turbulente Treiben in den überfüllten Überlandbussen. „Wenn die Kinder zu laut wurden, riefen die Eltern sie nicht etwa zur Ordnung, sondern drehten einfach den Fernseher noch lauter." Es ist wahnsinnig laut in Nicaragua, der Alltag wirkt chaotisch, und die Angst ist ständiger Begleiter. Sigrid, eine Frau, mit der Paul eine Affäre hat, ist eines Tages spurlos verschwunden. Der Protagonist vagabundiert bisweilen im fremden Land ziellos durch den Alltag, befindet aber dennoch: „Das Revolutionsabenteuer war gleichbedeutend mit einer erotischen Aufladung.“
Eine große Portion weltfremder Selbsttäuschung wird unfreiwillig zu Pauls Markenzeichen, denn weder mit der Revolution noch mit der Liebe hat es bei ihm funktioniert. Nicht mit der vermissten Sigrid, nicht mit Beate, die ihm nach seiner Rückkehr nach Berlin gesteht: "Ich war schwanger. Als du nach Nicaragua gegangen bist.“ Auch bei der Nymphomanin Renate und bei der blutjungen Karo geht alles schief. „‚Ich liebe dich‘, sagt Karo da zu Pauls Bestürzung, denn so hatte er es ja auch nicht gemeint.“
Ähnlich turbulent geht es um ihn herum zu. Nach der Maueröffnung scheint sich der Moloch Berlin jeden Tag neu zu erfinden.
Im Rückblick geht es nicht nur um Sinn oder Unsinn der sandinistischen Revolution in Nicaragua und der mehr und mehr verblassenden Utopie vom dritten Weg, eine Art sozialistische Demokratie, sondern auch (zumindest latent) um die zerstörte Sehnsucht nach einer großen Liebe.
Jörg Magenau hat in seinem Roman die Desillusionierung eines verträumten Pseudo-Revolutionärs authentisch und mit spürbarer Sympathie für seine Hauptfigur nachgezeichnet, die dabei sein wollte bei einer „großen Sache“, die von der Sehnsucht getrieben wurde, anerkannt und geliebt zu werden, die aber darüber ihr eigenes Leben aus der Hand verloren hat.
Paul bleibt nach der Lektüre als eine Figur zurück, die als begeisterter Zuschauer staunend am Streckenrand der Weltgeschichte steht. Nur dabei, aber nicht mittendrin.
Jörg Magenau: Liebe und Revolution. Roman. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2023. 301 Seiten, 24 Euro.
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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