Romantiker im diplomatischen Dienst

Vor 100 Jahren (am 31. März) wurde Nobelpreisträger Octavio Paz geboren

Als Ocatvio Paz 1990 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, wirkte er in unserer schnelllebigen Zeit schon wie ein Fossil aus längst vergangenen Epochen. Der Lyriker, Romancier, Essayist, Ethnologe, Biograf, Dozent und Diplomat nahm eine Sonderstellung als einer der letzten Universalgelehrten ein, der „in Würdigung seiner leidenschaftlichen Dichtung mit weiten Horizonten, geprägt von sinnlicher Intelligenz und humanistischer Integrität“ die wichtigste Ehrung der literarischen Welt erhielt.

Octavio Paz, der am 31. März 1914 in Mixcoac, einer Vorstadt von Mexico-City, als Sohn eines Juristen geboren wurde, ist stets ein Individuum sui generis gewesen – sowohl literarisch als auch politisch. Nach seinem Jura- und Philosophiestudium und stürmischen Jahren auf Seiten der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg arbeitete er zunächst als Lehrer und wechselte 1946 aufs diplomatische Parkett. In seiner über zwei Jahrzehnte währenden Tätigkeit im diplomatischen Dienst seines Heimatlandes (u. a. in Indien, in Japan und etliche Jahre in Paris) agierte er nicht nur als vehementer Anti-Kommunist, sondern stand auch dem übermächtigen Nachbarn USA politisch reserviert gegenüber. In seiner Zeit in Frankreich arbeitete er eng mit Pablo Neruda und André Bréton zusammen, und es entstand der gewaltige Essayband „Das Labyrinth der Einsamkeit“. 1982 eröffnete Paz gemeinsam mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister, Richard von Weizsäcker, in West-Berlin die „Horizonte - Festival der Weltkulturen.“ Zwei Jahre später wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Paz hat nicht nur in Europa Spuren hinterlassen, sondern die europäische Kultur hat ihrerseits auch sein Oeuvre nachhaltig beeinflusst.

In seinen literarischen Arbeiten, die ihre Wurzeln in den 1930er Jahren haben, präsentiert der Mexikaner eine beinahe einzigartige Synthese aus Romantik und literarischer Moderne, dennoch stand bei Paz jedoch immer sein immens ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis im Zentrum.
Dies unterstrichen auch die zuletzt zu seinem 80. Geburtstag im Suhrkamp Verlag neuaufgelegten Werke. Im Gedichtband „Vrindavan“ (so heißt eine indische Kultstätte des Hinduismus) hat der künstlerische Kosmopolit die Impressionen seines Indien-Aufenthaltes literarisch aufgearbeitet, nachdem er zuvor bereits mehrere Essays über diese Lebensphase veröffentlicht hatte.
„Die Götter ohne Worte spielen schreckliche Spiele. Worte wechseln ist menschlich“, heißt es - durchaus charakteristisch für das gesamte Oeuvre - in einem Gedicht aus den frühen 80er Jahren. Worte analysieren und daraus neue Worte zu kreieren, das war stets Paz' Metier.
So auch in seinem Essayband „Die andere Stimme“ (1994), in dem er sich mit stilistischen Tendenzen und der Rezeption zeitgenössischer Literatur beschäftigt hatte und wenig optimistisch fragte: „Welche Stellung wird der Dichtung künftig zukommen?“
Eine der herausragenden Arbeiten aus Octavio Paz' Feder war der 1991 erstmals in deutscher Übersetzung erschienene Roman „Sor Juana“, an dem der Autor über zehn Jahre gearbeitet hat. In diesem opulenten Romanessay über die Dichterin Juana Ines de la Cruz (1651-1697) treibt Paz seine literarische Vielseitigkeit zur vollen Blüte. Subtile historische Kenntnisse über die dichtende Nonne, die der Autor auf eine Stufe mit Calderon und Lope de Vega stellt, und fabulierfreudige Imagination erheben dieses Werk weit über den Rang der oftmals spröden Biografien und verleihen ihm überdies eine zeitlose Aktualität
„Ihr Los als Schriftstellerin, gestraft von Prälaten, die von der Wahrheit ihrer eigenen Ansichten überzeugt waren, erinnert uns Menschen des 20. Jahrhunderts an das Schicksal des freien Intellektuellen in Gesellschaften, die von einer Orthodoxie beherrscht und von einer Bürokratie verwaltet werden“, schrieb Paz. Aus der Handlungszeit dieses Riesenepos' (17. Jahrhundert) und aus der Hypothese, dass religiöser Fanatismus und totalitäre Ideologien der gleichen menschenverachtenden Wurzel entspringen, schlägt der aufrichtige Humanist Octavio Paz wiederholt Brücken zur Gegenwart. "Die Poesie muss ein wenig trocken sein, damit sie gut brennt, damit sie uns leuchten und wärmen kann", lautete sein unkonventionelles dichterisches Credo.
Am 20. April 1998 ist Octavio Paz, ein großer poeta doctus, ein bedeutender singulärer humanistischer Geist des 20. Jahrhunderts, im Alter von 84 Jahren in Mexico City gestorben.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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