Romane nach genauem Plan

Zum 75. Geburtstag des Schriftstellers John Irving am 2. März*

"Ich muss wissen, wohin die Geschichte führt, sonst verheddert man sich, sonst schreibe ich ziellos. Für jeden neuen Roman entwerfe ich zunächst einen genauen Plan und kenne das Ende, bevor ich zu schreiben beginne", hat Erfolgsautor John Irving über sein literarisches "Patentrezept" aufgeklärt.

Seine 14 Romane wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt, mindestens die Hälfte davon waren weltweite Bestseller, und doch fällt Irvings Zwischenbilanz nicht rundherum positiv aus. Er hadert damit, dass ihm in seiner amerikanischen Heimat nicht die ganz große Aufmerksamkeit zuteil wird, und dass er sich wegen seiner kritischen Positionen zum Vietnamkrieg und zur Abtreibung sogar heftiger Anfeindungen ausgesetzt sah. "In Europa sind Schriftsteller wichtig und werden zur Lage im Land und in der Welt gefragt, weil erwartet wird, dass sie eine Meinung haben", bemerkte er einmal mit neidvollem Unterton.

Um Irvings Romane zu mögen, muss man ein Faible für das ausschweifende Erzählen haben und auch bereit sein, manche thematische Wiederholung einfach zu ignorieren. Vor allem die auf seiner eigenen Vita basierenden schwierigen Familienverhältnisse und daraus resultierende Identitätsprobleme hat er in diversen Variationen zum Sujet gemacht.
John Irving, der heute* vor 75 Jahren in Exeter im US-Bundesstaat New Hampshire als Sohn eines Kampffliegers unter dem Namen John Wallace Blunt geboren wurde, hat seinen Vater nie kennengelernt und erhielt mit sechs Jahren den Namen seines Stiefvaters, eines renommierten Historikers, der auch die Neigung zur Literatur früh geweckt hat.

Befreundet gewesen mit Günter Grass
Die Lektüre der "Blechtrommel" (mit Grass verband Irving eine enge Freundschaft, und er hielt vor zwei Jahren im Lübecker Theater gar eine Trauerrede auf den Nobelpreisträger) soll ein Initiationserlebnis gewesen sein. Gabriel Garcia Márquez und Salman Rushdie hätten ihn außerdem in seiner literarischen Entwicklung geformt.
Nach dem Studium, einer Dozententätigkeit und einer sportlichen Karriere als Ringer, deren Krönung ihm durch die greifbar nahe Olympiateilnahme 1976 versagt blieb, begann er zu schreiben. Zunächst jedoch mit bescheidenem Erfolg. Erst sein viertes Buch, der opulente Roman "Garp und wie er die Welt sah" (1978) brachte ihm den künstlerischen Durchbruch. Der Roman handelt vom Lebensweg des Schriftstellers Garp und seiner "frauen-bewegten" Mutter. Die Verkaufszahlen waren gigantisch, für Irving der Startschuss zu einem neuen, von materiellen Sorgen freien Leben. "Der Roman kam im richtigen Moment, weil ich an einem Tiefpunkt war: Ich war über dreißig und hatte als Ringer nie erreicht, was ich erreichen wollte", räumt Irving rückblickend ein.
Es folgten Bestseller wie "Owen Meany" (1990), "Witwe für ein Jahr" (1999) und vor allem "Gottes Werk und Teufels Beitrag" (1988). Für die Verfilmung des Lebensweges des Waisenjungen Homer Wells hatte Irving 1999 selbst das Drehbuch geschrieben und war dafür mit dem Oscar prämiert worden.
Motive der Elternschaft, des Erwachsenwerdens und der Identitätssuche haben den traditionellen Erzähler Irving (nicht zufällig hieß sein Hund "Dickens") zeitlebens umgetrieben. So hat auch die Figur des vatersuchenden Hollywoodstars Jack Burns aus dem Roman "Bis ich dich finde" (2006) unübersehbare autobiografische Wurzeln.

Ungebrochener Arbeitseifer
Gelassener sei er mit zunehmendem Alter geworden, räumt John Irving ein, der mit seiner zweiten Ehefrau, seiner Agentin Janet Turnbull, abwechselnd in Vermont und Toronto lebt. Von nachlassendem Arbeitseifer ist trotz einer 2007 diagnostizierten Krebserkrankung nichts zu spüren. Zuletzt ist vor einem Jahr in deutscher Übersetzung der opulente Roman „Straße der Wunder“ erschienen, ein gewaltiges Epos, das um die Themen Religion, Schicksal und Zufall kreist.


Lesetipp:
John Irving: Straße der Wunder. Roman. Aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog. Diogenes Verlag, Zürich 2016, 784 Seiten, 26 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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