Annika Büsings zweiter Roman „Koller“
Roadtrip und Schöpfungsgeschichte

Annika Büsing, die im letzten Jahr mit ihrem Romandebüt „Nordstadt“ gleich mehrere angesehene Literaturpreise eingefahren hat, widmet sich auch in ihrem zweiten Werk wieder Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben und einzelkämpferartig auf der Suche nach dem kleinen Glück sind.

Waren es in „Nordstadt“ eine Schwimmlehrerin und ein behinderter Teenager, die (über Umwege) emotional zueinander fanden, so steht nun ein schwules Paar im Mittelpunkt.
Kolja (Koller) und der Ich-Erzähler Chris (beide um die dreißig) haben sich in einem Park in Leipzig kennen und lieben gelernt. Sie bereisen daraufhin in einem betagten Kleinwagen Kollers gesamte, über die Republik verstreute Familie. Über Ludwigsburg führt sie eine der nächsten Etappen auch ins vom Jahrhunderthochwasser im Juli 2021 zerstörten Ahrtal.
Kolja ist ein impulsiver, energiegeladener Mensch, Chris eher das Gegenteil - introvertiert und zögerlich. Überall tun sich während des kurzweiligen Roadtrips kleine „Geschichtchen“ auf, Handlungsnebenstränge mit teilweise skurrilen Figuren und kurzen Abstechern in die Vergangenheit. In Koljas Vita existierte eine Ex-Freundin, mit der er ein Kind hat. Und für seine Schwester, die in einem Behindertenheim lebt, fühlt sich der gescheiterte Medizinstudent verantwortlich.
Die 41-jährige Annika Büsing, die an einem Bochumer Gymnasium als Religion- und Deutschlehrerin arbeitet, hat eine atemberaubend temporeiche Suchgeschichte vorgelegt. Es geht dabei um geografische Wurzeln, aber auch um die Erkundung des eigenen Gefühlslebens. Chris und Koller stranden (im wahrsten Sinne des Wortes) in einem abgelegenen Dorf an der Ostsee. Wer mag, kann „Koller“ auch als eine moderne Schöpfungsgeschichte lesen – verteilt auf sieben Tage und gegliedert in sieben Kapitel. Der Roman endet mit dem Satz: „Und siehe, es ist alles sehr gut.“
Ja, ist es, denn Annika Büsing hat ihren eindrucksvollen Romanerstling „Nordstadt“ mit dem nun vorliegenden „Koller“ noch einmal übertroffen. Virtuos erzählt und anspruchsvoll komponiert. Ein absolutes Muss für den Büchersommer.
Das dritte Buch ist bereits fertig, ein viertes in Arbeit, berichtete Büsing in einem Interview mit der WAZ. Man darf schon jetzt gespannt sein.

Annika Büsing: Koller. Roman. Steidl Verlag, Göttingen 2023, 176 Seiten, 20 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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