Roman von Georg-Büchner-Preisträger Arnold Stadler
Reif für die Insel

"Ich hatte den Verdacht, dass sie auf Schloss Sayn eigentlich Greta Thunberg hatten hören wollen und mir übelnahmen, dass ich nicht Greta Thunberg war, sondern ein weißer Alter, der für alles verantwortlich gemacht werden konnte“, lässt Georg-Büchner-Preisträger Arnold Stadler seinen verzweifelten Protagonisten resümieren.

Ein Schriftsteller, der dem Autor nicht unähnlich ist und der aus einem seiner Romane lesen wollte. Doch die Veranstaltung auf Schloss Sayn (10 Kilometer östlich von Neuwied gelegen) läuft völlig aus dem Ruder. Der Ich-Erzähler schweift beim Publikumsgespräch gern und weit ab, so wie es Autor Stadler in seinen Romanen seit Jahr und Tag zelebriert. Jede Menge Augenzwinkern steckt dabei zwischen den Zeilen. Doch den Nerv des Publikums trifft er damit nicht, die Lesungsgäste goutieren die rhetorischen Volten des Autors nicht – "Altmänner-Geschwätz" lautet das vernichtende Urteil im Saal.
„Auch wenn Verzweiflung über die Vergänglichkeit bei Stadler in noch so grotesk übermütiger Drapierung daherkommt und Passion von Posse manchmal kaum zu unterscheiden ist, stehen Stadlers Bücher in gänzlichem Gegensatz zur herrschenden hedonistisch-heidnischen Spaßkultur“, hieß es 1999 in der Jury-Begründung, als Arnold Stadler der Georg-Büchner-Preis verliehen wurde.
Er ist weder als Vielschreiber noch als dem Zeitgeist nach hechelnder Autor bekannt geworden. Im Gegenteil – die Romane des 69-jährigen Autors haben sich immer quer zum literarischen Mainstream gestellt, waren nie schnelle Lektüre für zwischendurch, sondern gehörten in die Kategorie schwer verdauliche Kost. "Es war alles einen Tick verrückt bei mir", bekannte Stadlers Hauptfigur aus dem Roman "Sehnsucht" (2002) durchaus charakteristisch für das Gesamtwerk.
Auf der Heimreise ins Oberschwäbische wächst der Wunsch nach einer Besinnungs-Auszeit, die Idee zur Flucht ans Meer entsteht. Er landet auf der wenig bekannten griechischen Insel Lefkada, von der aus man einen Blick nach Ithaka erhaschen kann, der Heimat des Odysseus. Der Rückzug hier hin mutet wie das Ende einer „geistigen Irrfahrt“ an, hin- und hergerissen zwischen künstlerischem Anspruch und bedrückender Alltagsrealität.
Die Gefühlslage changiert zwischen Fernweh und Heimweh, und die Gedanken an die oberschwäbische Heimat werden durch Erinnerungsfragmente an Johann Peter Hebel und Martin Heidegger eindrucksvoll unterfüttert. Vor allem aber intoniert Stadler eine gefühlvolle Liebeshymne an das Meer, an die Rückbesinnung auf die Natur und die entschleunigende Kraft der Ruhe.
Er findet aber auch im paradiesisch geschilderten Ambiente des ionischen Meeres immer wieder zu kritischen Gedanken zurück. Der Protagonist sinniert über die krassen Gegensätze von arm und reich, über fehlende Chancengleichheit und das Nord-Süd-Gefälle. Auslöser dafür ist die benachbarte Insel Skorpios, auf der der griechische Milliardär Aristoteles Onassis 1968 Jacqueline Kennedy geheiratet hatte und die sich noch in Privatbesitz befindet. Die Onassis-Enkelin Athina soll einem Spiegel-Bericht zufolge momentan mit einer russischen Milliardenerbin über den Verkauf verhandeln. Auch über das Älterwerden lässt Stadler seine Hauptfigur (durchaus humorvoll) reflektieren. Werbemails zu Sterbegeld-Versicherungen und Treppenliften sind der Auslöser.
Arnold Stadler bewegt sich mit traumwandlerischer Leichtigkeit zwischen Selbstverliebtheit und starker Selbstreflektion, zwischen lyrischer Träumerei und intellektueller Schärfe. Altmodisch wird man einwenden können, man kann seine poetisch-philosophische Zwischenbilanz eines Lebens zwischen der Liebe zum Erzählen und den bedrohlichen äußeren Faktoren aber auch zeitlos schön nennen.

Arnold Stadler: Irgendwo. Aber am Meer. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2023, 224 Seiten, 24 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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