Plädoyer für eine Kultur der Freiheit

Zum 80. Geburtstag des Nobelpreisträgers Mario Vargas Llosa am 28. März*


Großereignisse werfen bekanntlich ihre Schatten voraus – so auch Mario Vargas Llosas neuer, Anfang des Monats in Madrid vorgestellter Roman „Cinco Esquinas“ (dt.: fünf Ecken), der in der spanischsprachigen Welt ein großes Medienecho entfacht hat. Es geht darin um die Regierungszeit Alberto Fujimoris in Vargas Llosas Heimatland Peru in den 1990er Jahren. Die deutsche Übersetzung soll im Herbst bei Suhrkamp unter dem Titel „Die Enthüllung“ erscheinen.

Für seine „Kartographie von Machtstrukturen und seine scharf gezeichneten Bilder individuellen Widerstands“, hatte ihm das Stockholmer Nobelpreiskomitee 2010 die mit umgerechnet rund 1,1 Millionen Euro dotierte wichtigste Auszeichnung der literarischen Welt zugesprochen. Eine Charakterisierung, die auch seinem letzten Roman „Ein diskreter Held“ (2013) vollends gerecht wird. Darin ging es um Macht, Unterdrückung, Familienehre, ausgelebte Egoismen und individuellen Widerstand, der bis an den Rand der Selbstaufgabe reicht.
Mario Vargas Llosa, der am 28. März 1936* in Arequipa im peruanischen Hochland als Sohn eines Radiojournalisten geboren wurde, begann schon früh zu schreiben. In seinem ersten bedeutenden Werk, den in mehr als 20 Sprachen übersetzten Roman „Die Stadt der Hunde“ (1963), verarbeitete er seine Erfahrungen in der Kadettenanstalt von Lima. Er arbeitete später als Journalist für viele internationale Zeitungen, als Literaturdozent in den USA und hatte Gastprofessuren in aller Welt inne. Sein Studium hatte er ausgerechnet mit einer Arbeit über seinen großen südamerikanischen Antipoden Gabriel Garcia Márquez abgeschlossen, dem er stets seine politische Nähe zu Fidel Castro vorhielt: „Dass ein Schriftsteller den Führer eines Regimes beweihräuchert, in dem es viele politische Gefangene - darunter mehrere Schriftsteller - gibt, das eine rigorose intellektuelle Zensur praktiziert, nicht die mindeste Kritik duldet und Dutzende Intellektuelle ins Exil gezwungen hat, ist etwas, das mich mit Scham erfüllt.“
Noch ein zweites Mal schrieb Vargas Llosa ganz eng an seiner eigenen Biografie entlang. Mit 18 Jahren hatte er Julia Urquidi geheiratet, mit der er neun Jahre zusammenlebte. Diese Beziehung diente als Grundlage des vielbeachteten Romans „Tante Julia und der Kunstschreiber“.
In seinen großen, überquellenden Romangemälden hat sich Vargas Llosa, der 1990 für das Präsidentenamt in Peru kandidiert hatte („Ich würde mich als Liberalen bezeichnen. Ich bin ein liberaler Demokrat.“), wiederholt der Ausbeutung der Ureinwohner, der blutigen Kämpfe von Untergrundorganisationen, der Korruption, der zwielichtigen Rolle der Militärs und des Totalitarismus gewidmet.

Liberaler Demokrat
Seine Romane „Tod in den Anden“, „Das Fest des Ziegenbocks“, „Der Geschichtenerzähler“ und „Das grüne Haus“ (alle bei Suhrkamp erschienen) stießen auch hierzulande auf große Resonanz. Darüber hinaus hat er in „Lob der Stiefmutter“ und „Die geheimen Aufzeichnungen des Don Rigoberto“ dem Faszinosum Liebe (und der Erotik) eine neue poetisch-zeitgenössische Dimension verliehen. In der Figur des leicht exzentrischen Don Rigoberto, der das Mittelmaß in allen Lebenslagen verachtet, spiegelt sich auch Vargas Llosas Credo.
In seinem letzten großen Roman „Das böse Mädchen“ (2006) breitet er ein opulentes Erzählspektrum aus, in dem es nicht nur um eine leicht märchenhaft anmutende Liebesgeschichte geht, sondern auch um politische Umwälzungen und um gescheiterte Utopien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. „Um zu erreichen, was man will, ist jedes Mittel recht.“ So lautet das Credo der weiblichen Hauptfigur in Mario Vargas Llosas neuem Roman. Wie ein Chamäleon wechselt sie ihre Identitäten und treibt so über den Handlungszeitraum von rund vierzig Jahren ein emotionales und kriminalistisches Verwirrspiel mit dem männlichen Protagonisten Ricardo Somocurcio.
Dieser hochgebildete Autor, der auch brillante Essays über Flaubert, Hugo und Gauguin verfasste und zwei Jahre dem Internationalen PEN-Club vorstand, ist ein behutsamer Gratwanderer zwischen Exotik und Realismus, zwischen Lebensfreude und Skeptizismus.
Der Nobelpreisträger war aber auch stets für Überraschungen und auch für Provokationen gut. Als ihm 1996 der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wurde, bekannte er, dass seine erste Begegnung mit der deutschen Literatur im Wilden Westen stattgefunden hat. "Nicht Karl Marx, sondern Karl May habe ich als junger Mann verschlungen."
Als großes „Plädoyer für eine Kultur der Freiheit“ wurde sein gewaltiges Oeuvre 1996 von der Frankfurter Friedenspreis-Jury bezeichnet. Den Cervantes-Preis, die bedeutendste literarische Auszeichnung der spanischsprachigen Welt, hat er erhalten und 35 Ehrendoktortitel gesammelt, 2005 den ersten aus Deutschland - von der Berliner Humboldt-Universität.
Mario Vargas Llosa, der sich von seiner zweiten Frau Patricia trennte und seit Juni 2015 mit der Journalistin und Ex-Model Isabel Preysler (Ex-Frau von Julio Iglesias) liiert ist, lebt abwechselnd in London, Paris, Madrid und Lima. Er ist nicht nur einer der bedeutendsten zeitgenössischen Erzähler der Welt, sondern auch einer der klügsten Köpfe unserer Zeit.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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