Michael Köhlmeiers Roman „Frankie“
Opa verändert das Leben
"Am Dienstag haben sie Opa entlassen". Mit diesem Satz aus dem Mund des 14-jährigen Enkels Frank eröffnet der Österreicher Michael Köhlmeier seinen neuen, schlanken, aber immens facettenreichen Roman „Frankie“.
Frank hat bis dahin ein beschauliches Leben mit seiner alleinerziehenden Mutter in einem Wiener Vorort geführt – sonntags sahen sie gemeinsam „Tatort“, mittwochs hat der Sohn für seine Mutter gekocht, bevorzugt Gemüse-Risotto. Dann ändert sich alles schlagartig. Großvater Ferdinand wird nach 18-jähriger Haft entlassen und wird mehr und mehr zur mal geliebten, mal gehassten Bezugsperson für den heranwachsenden Ich-Erzähler.
Warum hat der Großvater eingesessen? Frank stößt auf eine Mauer des Schweigens, auch das Internet liefert ihm keine Aufklärung. Kein Wunder, denn der Großvater und seine Mutter haben ihre Namen geändert. Die Mutter lüftet nach bohrenden Nachfragen dieses Familiengeheimnis: "Wir heißen in Wahrheit nicht Thaler. Nein, falsch. Du schon, du heißt Thaler, nämlich von Geburt an. Frank Thaler. Klingt gut, oder? Habe ich mir ausgedacht. Vorname ausgedacht, Nachname ausgedacht. Alles ich. Deine Mama.“
Der 73-jährige Autor Michael Köhlmeier, der seit den 1980er Jahren auf durchgehend hohem Niveau veröffentlicht und mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde, evoziert eine Atmosphäre des Spekulativen. Warum saß der Großvater so lange in Haft? Für Köhlmeier durchaus typisch, ging er doch in der Vergangenheit schon häufig der Frage nach, ob es für begangenes Unrecht immer plausible Motive gibt, oder ob die Psychologie bei der Deutung von schweren Straftaten an Grenzen stoßen kann?
Franks Mutter würde Ferdinand am liebsten wieder im Gefängnis sehen. Sie merkt, dass sie ihren Sohn emotional verliert. Eine disparate Mischung aus Angst und Faszination fesselt den Jungen an seinen Großvater. „Langeweile und Neugierde“ (so die Erklärung des Protagonisten) machen den eigentlich fremden Ferdinand interessant. „Ich weiß nicht, was er getan hat. Ich denke, ich werde es herauskriegen. Irgendwann. Jetzt habe ich noch ein bisschen Angst davor“, beschreibt Frank sein ambivalentes Verhältnis zum Großvater.
Zwei höchst unterschiedliche Lebenswelten, zwei Generationen, und letztlich auch zwei völlig fremde Figuren treffen aufeinander, und es entsteht ein nebulöses, emotionales Abhängigkeitsverhältnis. Der Junge bekommt von seinem Opa eine geladene Pistole geschenkt. Was macht das mit dem Heranwachsenden? Die Figur verändert sich, bekommt machohafte Männlichkeitsideale vermittelt und erhält ähnlich finstere Züge wie der Großvater. "Interessant ist, dass eine Pistole, wenn man sie bei sich hat, verlangt, dass man etwas tut." Der Großvater „versprüht“ eine Art Aura des Bösen, die den jungen Frank mehr und mehr gefangen nimmt.
Mit einem gestohlenen Auto gehen sie auf Spritztour, „weg von Wien, weg von Mama“, und irgendwann übernimmt Frank auf einer Autobahnraststätte sogar das Steuer.
Michael Köhlmeier zieht den Leser förmlich in die Handlung hinein. Das Büchlein wird zum echten Pageturner, die oftmals schroffen Dialoge haben Bühnenformat.
Der Großvater resümiert gegen Ende: "Ich bin dahintergekommen, dass wir nicht etwas aus irgendeinem Grund tun. Das Ergebnis meines zehnjährigen Denkens lautet: Wir tun etwas. Fertig.“
Es geht in Köhlmeiers faszinierendem Roman um fundamentale Dinge wie Verantwortung, Schuld, Moral und die Suche nach Motiven für irrationales Handeln. Das Ende bleibt offen. Und über allem schwebt die bedrückende Frage: Gibt es ein unerklärbares Böses in unserem tiefsten Innern? Eine Herausforderung, der sich jeder Leser stellen muss.
Michael Köhlmeier: Frankie. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2022, 206 Seiten, 24 Euro
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.