Ian McEwans neuer Roman „Maschinen wie ich“
Nur die Beatles zum Leben erweckt
„Der erste wirklich funktionsfähige, künstliche Mensch mit überzeugender Intelligenz und glaubhaftem Äußeren, mit lebensechter Motorik und Mimik kam auf den Markt, eine Woche ehe unsere Truppen zu ihrer hoffnungslosen Falkland-Mission aufbrachen“, heißt es in Ian McEwans neuem, gleichermaßen faszinierenden wie gewagten Roman „Maschinen wie ich“.
Der 70-jährige britische Autor, der ein Faible für Figuren in psychischen Grenzbereichen pflegt und uns wiederholt mit schockierenden Geschichten konfrontiert hat, erzählt von einer ganz speziellen Ménage-à-trois in den frühen 1980er Jahren.
Im Mittelpunkt stehen Charlie, Miranda und der in limitierter Auflage auf den Markt gekommene, lernfähige Roboter Adam – in Mimik und Motorik ganz stark dem Menschen nachempfunden.
Charlie ist Anfang dreißig, beruflich überall gescheitert und hat sich nach dem Tod seiner Mutter aus dem Verkaufserlös seines Elternhauses für 86000 Euro ein Adam-Modell gesichert. Er heiratet seine ehemalige Nachbarin Miranda, und gemeinsam programmieren sie Adam – um mit seiner Hilfe Gewinne aus dem Online-Aktienhandel zu generieren.
Ian McEwan, Booker-Preisträger des Jahres 1999, verlangt seinen Lesern einiges ab. Seine künstlerische Geschichtsklitterung schlägt hier hohe Wellen: Online-Aktienhandel 1982, der Falklandkrieg geht verloren, Margaret Thatcher verliert die Wahl, muss Downing Street räumen, und der Computer-Pionier Alan Turing, dem Rolf Hochhuth schon 1987 einen faszinierenden Roman gewidmet hat, lebt weiter.
"Mich interessiert das menschliche Innenleben, das nicht von oberflächlicher Logik angetrieben ist", hat der britische Schriftsteller Ian McEwan einmal selbst sein dichterisches Credo beschrieben. Und so nimmt auch die Handlung des neuen Romans etliche unerwartete Wendungen. Allerdings bleiben die Figuren (völlig anders als in den Vorgängerwerken) seltsam blutleer, wie am Reißbrett entworfen und ohne jeden Funken Eigendynamik.
Roboter Adam denkt und fühlt immer stärker wie ein Mensch, entwickelt Emotionen, treibt einen Keil zwischen Miranda und Charlie und beginnt schließlich sogar Gedichte zu schreiben. Das Ehepaar adoptiert die Tochter einer Drogensüchtigen, Miranda kümmert sich zudem aufopferungsvoll um ihren Vater und treibt mit großer Energie ihr Studium voran.
Charlie liest plötzlich die Weltliteratur vor und rückwärts und bilanziert irgendwann, dass er sich außer „Hamlet“ alles hätte sparen können. Originell klingt anders! Auch der Impuls für Charlies plötzlich einsetzende Leselust erschließt sich nicht.
Autor Ian McEwan treibt mit der viel zitierten künstlerischen Freiheit allerlei Schabernack und inszeniert auch noch ein ziemlich plumpes Eifersuchtsdrama. Der Roboter ist unsterblich verliebt in Miranda, offenbart Charlie einige Geheimnisse (fiktiv oder real?!) aus Mirandas Vorleben, deaktiviert dann selbst seinen Deaktivierungsschalter, wird massiv handgreiflich, und ein Scheich in Saudi-Arabien bestellt sich gleich vier Eva-Roboter (die weibliche Variante aus der Adam-Reihe). Auch für die überbordende dichterische Fantasie gilt: Weniger kann mehr sein.
Die dem Roman zugrunde liegenden seriösen Fragen, inwieweit eine „Maschine“ menschliche Regungen zeigen oder gar ein „besserer Mensch“ werden kann und wie stark künstliche Intelligenz unser zukünftiges Leben beeinflussen kann, sind fraglos höchst spannend.
Doch dieser reizvollen Konstellation zeigt sich McEwan in weiten Teilen der Handlung erzählerisch und kompositorisch leider nicht gewachsen. Kühl, empathielos, manchmal gar an eine technische Gebrauchsanweisung erinnernd kommt die Sprache daher: „Der rationale Impuls, mit mir zusammenzuarbeiten, der mit halber Lichtgeschwindigkeit durch sein neuronales Netz pulsierte, war wohl kaum vom Logikgatter einer neu entworfenen Persönlichkeit plötzlich aufgehalten worden. Vielmehr waren diese beiden Elemente in ihrem Ursprung so ineinander verschlungen wie die Schlangen auf Merkurs Heroldstab.“ Bei all diesen Dissonanzen, die im Ohr des Lesers nachhallen, bleibt als kleiner Trost, dass McEwan die Beatles im Jahr 1982 wiedervereinte und sie mit dem Song „Love & Lemmons“ ein Comeback feiern ließ.
Am Ende dieses opulenten, ausufernden Romans muss man sich dann eben mit solch kleinen „Freuden“ zufrieden geben.
Ian McEwan: Maschinen wie ich. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Diogenes Verlag, Zürich 2019, 404 Seiten, 25 Euro.
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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