Eva Menasses Roman „Dunkelblum“
Nicht das Ende der Geschichte
„Ich wollte keinen historischen Roman schreiben, sondern eine paradigmatische Menschheitsgeschichte, wie sie eben immer wieder passiert“, erklärte die Schriftstellerin Eva Menasse über ihren opulenten Roman „Dunkelblum“.
Die 51-jährige Menasse, Halbschwester des Schriftstellers Robert Menasse und Ex-Ehefrau des Erfolgsautors Michael Kumpfmüller, hatte 2005 mit ihrem opulenten und verdientermaßen hochgelobten Debütwerk "Vienna" gleich für reichlich Furore gesorgt. Vor acht Jahren hatte sich die ehemalige FAZ-Redakteurin in „Quasikristalle“ (2013) der Biografie einer Frau gewidmet, die sie in 13 Kapiteln aus 13 verschiedenen Perspektiven ausgeleuchtet hat.
Nun widmet sie sich einem historischen Stoff, den Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek in ihrem 2008 in München uraufgeführten Theaterstück „Rechnitz (Der Würgeengel)“ bereits auf die Bühne gebracht hatte. Es geht um einen Massenmord an jüdischen Zwangsarbeitern, die in den letzten Kriegsmonaten irgendwo im Dunstkreis des Ortes verscharrt wurden und das beharrliche (Ver)-Schweigen der Dorfbewohner. „Dunkelblum“ ist der fiktionalisierte Name des kleinen Ortes im Burgenland, der dem realen Rechnitz nachempfunden wurde. Dort kennt jeder jeden, wird jeder Fremde mit einer gehörigen Portion Argwohn beobachtet und „geprüft“. Hier will man auf geheimnisvolle Weise unter sich bleiben.
Eva Menasse lässt ein buntes Figuren-Ensemble in „Dunkelblum“ (nahe der ungarischen Grenze) auftreten. Der Arzt des Ortes, der die Praxis seines jüdischen Vorgängers übernommen hat, weiß von den vergrabenen Toten, der Besitzer eines Modehauses, einst selbst aktiver Nazi und beharrlicher Leugner seiner Kriegsverbrechen und der seiner Ex-Kameraden im Ort, da gibt es den Gemischtwarenhändler Grießler, der einzige Jude des Ortes, der nach dem Krieg zurückgekehrt ist, einen schwulen Reisebürobetreiber und Hobby-Historiker, die rebellische Malnitz-Tochter und den alle Fäden des Verschweigens zusammenhaltenden Bürgermeister Koreny.
Die Handlung ist im Jahr 1989 angesiedelt. Das Ende des Kalten Krieges zeichnet sich deutlich ab. Der Eiserne Vorhang, die nahe Grenze zu Ungarn, wird mehr und mehr durchlässig. Ein Mann aus Boston ist auf der Suche nach einem Massengrab und stellt „unangenehme“ Fragen, junge Menschen aus Wien wollen den jüdischen Friedhof wieder herrichten, und in Dunkelblum gibt es einige junge Leuter (allen voran die Malnitz-Tochter), die ein Heimatmuseum oder zumindest eine Dauerausstellung über die Verbrechen im Ort ins Leben rufen wollen.
„Es ist zu schrecklich, um darüber zu reden, und es gibt diese Tendenz in allen Menschen, glaube ich, Dinge ruhen zu lassen“, heißt es im Roman. Und es gibt im Roman auch Figuren, die sich an jene Nacht im März 1945 zwar erinnern, doch weiter schweigen – aus Gründen einer moralisch verwerflichen dörflichen oder sogar familiären Loyalität.
Die ganz junge Dunkelblumer Generation will gegen diese über Jahrzehnte verfestigte Mauer des Schweigens ankämpfen und stößt dabei auf vehemente Ablehnung. Bürgermeister Koreny meint vielsagend über die Malnitz-Tochter: „Unserer Frau Balaskó hat sie gesagt, sie sucht nach Dunkelblumer Kriegsverbrechern, stell dir das vor, Kriegsverbrecher, bei uns! Das Mädel ist Anfang zwanzig, früher haben sich die jungen Leute für was anderes interessiert, für Tanzen und Flirten.“ So tickt die ältere Generation in Dunkelblum beinahe im gedanklichen Gleichschritt. Ignorant, selbstherrlich und verlogen - moralische Skrupel wegen der Aneignung jüdischen Eigentums existieren auch nach mehr als vierzig Jahren nicht.
Das zentrale Motiv dieses Romans ist das Hinterfragen des kollektiven (Ver)-Schweigens. Eva Menasse hat dabei sehr nah an der österreichischen Seele entlang geschrieben. Aus gutem Grund ist ein siebenseitiges Glossar zur Erklärung des „österreichischen“ Vokabulars angehängt.
Am Ende bekommt die opulente Handlung auch noch eine Krimi-Note. Völlig überraschend ist die Dunkelblumerin Eszter Lowetz verstorben, und eine junge Studentin verschwindet während ihres Heimaturlaubs spurlos. Beide hatten zur Dunkelblumer Geschichte während des Zweiten Weltkriegs recherchiert. Den letzten Satz mag man in diesem Kontext durchaus als Trost verstehen: „Das ist nicht das Ende der Geschichte.“
„Dunkelblum“ ist bisweilen etwas zu langatmig geraten, allzu viele skurrile Figuren mit labyrinthischen Lebensläufen tauchen auf und ganz schnell wieder ab. Viel Ausdauer ist beim Leser für diese literarischen Umwege nötig. Dieser Roman ist weder als Urlaubs- noch als Nachttischlektüre geeignet. Wirklich schwere Kost, zu der der betont saloppe Umgangston allerdings nicht immer passt.
Eva Menasse: Dunkelblum. Roman. Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2021, 25 Euro
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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