Hilmar Klute: Die schweigsamen Affen der Dinge
Mit Loerke durchs Ruhrgebiet
Um es gleich vorweg zu nehmen, der etwas seltsam anmutende Titel geht auf eine Gedichtzeile des weitgehend vergessenen Lyrikers Oskar Loerke (1884-1941) zurück. Auf den Spuren des facettenreichen Dichters nimmt uns Autor Hilmar Klute mit auf den Weg in seine Kindheit und Jugend im Ruhrgebiet.
Alles in diesem dritten Roman des 1967 in Bochum geborenen Autors, der seit vielen Jahren für die tägliche „Streiflicht“-Glosse in der „Süddeutschen Zeitung“ verantwortlich zeichnet, ist von kräftigen Kontrasten geprägt. Von Vater und Sohn, die unterschiedlicher kaum sein können, vom Ruhrgebiet und der Hauptstadt Berlin, von Feingeistigkeit und Kleinbürgertum.
Kein Wunder, dass sein gleichaltriger, ebenfalls in Bochum geborener Schriftstellerkollege Frank Goosen das zeitgleich erschienene Hörbuch des Romans eingelesen hat. Während es beim im „Revier“ immer noch tief verwurzelten Goosen (er war u.a. von 2010 bis 2017 Aufsichtsratsmitglied des VfL Bochum) sprachlich bisweilen auch einmal derb zugehen kann, hat Klute offensichtlich jedes Wort auf die Goldwaage gelegt und sich schreibend auch Distanz zu seiner Heimat verschafft.
Klutes Protagonist Henning Amelott ist Essayist für das fiktive „Ideenmagazin“ und befindet sich mit seiner Freundin Annette im Rom-Urlaub, als er von Ruth, der zweiten Frau seines Vaters Walter von dessen Tod erfährt. Er nimmt die Nachricht gelassen, fast emotionslos auf. „Eine Erlösung, ja, das war es natürlich. Was es für ihn selbst war, konnte Henning nicht sagen, es war alles zu klein für schwere Worte.“
Hennings Vater hatte einst Frau und Kind verlassen, das Ruhrgebiet und auch sein Vater sind der Hauptfigur gleichermaßen fremd geworden. Was bleibt in ihm? Eine Erinnerung der Kühle, eine Art Entwurzelung, die er selbst kräftig forciert hat. Durch den Tod des Vaters wird der Protagonist an seine Herkunft erinnert, völlig disparate Gefühle lösen in seinem Innern einen unsichtbaren Kampf aus – zwischen Teilnahmslosigkeit und latenter Neugierde changierend.
Die Hauptfigur stürzt sich in eine verabredete Arbeit über den Lyriker Loerke, doch in die ästhetischen Gedanken mischen sich unvermittelt auch Erinnerungen an den Vater oder das, was er dafür hält. „Sein Vater hatte im Leben keinen Sinn für Schönheit und empfindliche Dinge besessen.“
Wie stark sich Autor Hilmar Klute selbst in die Henning-Figur eingebracht hat, lässt sich final nicht beantworten, doch die Parallelen sind kaum übersehbar. Wie Henning Amelott ist auch Klute selbst Liebhaber und Experte der deutschsprachigen Lyrik der 1920er Jahre. Vor sieben Jahren hat er unter dem Titel „War einmal ein Bumerang“ eine vielbeachtete Joachim Ringelnatz-Biografie vorgelegt. Die Dichter vergangener Tage und deren hochästhetisches Sprachempfinden bilden im Roman den Kontrast zur Erinnerung an die freudlose, kleinbürgerliche Kindheit im Ruhrgebiet.
Auf der Beerdigung in Recklinghausen kommt Henning mit einem überaus sympathisch gezeichneten Jugendfreund seines Vaters ins Gespräch. Er versucht in der Folge, den eigenen Vater durch die Erinnerungen des Freundes Jochen besser kennenzulernen. Jochen und der verstorbene Walter hatten als junge Burschen mit dem Motorrad Korsika unsicher gemacht. Das Bild des Vaters erhält durch die Erzählung des Freundes völlig neue Konturen. Es wirkt am Ende dennoch ein wenig aufgesetzt, dass Henning mit Jochen nach Korsika fliegt. Die permanente Suchbewegung, das Pendeln zwischen Annäherung und Ablehnung an den Vater franst hier über Gebühr aus.
Hilmar Klute hat mit seinem dritten Roman eine Mischung aus Identitätssuche einer alternden Edelfeder und durchgestyltem Aufsteigerroman vorgelegt. Das ist reizvoll und anstrengend zugleich bei der Lektüre, denn man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass sich Klute (augenzwinkernd) auch selbst ein Denkmal gesetzt haben könnte. Er lässt den Chefredakteur des am Ende zwiegespaltenen Henning konstatieren: „Literatur und Leben, das kannst nur du zusammenbringen.“
Man ist geneigt Autor Hilmar Klute einige Zeilen aus einem Loerke-Gedicht hinterherzurufen: „Die alten Schaukelpferde ruhn,/ Spinnweb in den Mähnen./ Herbeigekommen ist ja nun/ die Zeit der täglichen Tränen."
Hilmar Klute: Die schweigsamen Affen der Dinge. Roman. Galiani Verlag, Berlin 2022, 281 Seiten, 22 Seiten
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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