Andreas Maiers Roman „Die Städte“
Mit Asterix auf dem Rücksitz
Der 54-jährige Schriftsteller Andreas Maier hat das nächste Teilstück seiner groß angelegten autobiografischen Lebensrundfahrt bewältigt. Kindheit, Jugend und Pubertät im Landstrich zwischen Gießen und Frankfurt standen in den Vorgängerwerken im Mittelpunkt. In „Die Städte“, der achte von elf geplanten Romanen unter dem Arbeitstitel „Ortsumgehung“, schweift der Blick nun über die heimatliche Wetterau und Frankfurt hinaus.
Maiers Ich-Erzähler, der dem „Problem-Andreas“ aus den Vorgängerwerken mehr als nur stark ähnelt, berichtet von diversen Reisen in unterschiedlichen Lebensphasen. Es sind allerdings keine Hochglanzerinnerungen, die gemeinhin in einem Fotoalbum verewigt würden: eher das Gegenteil. Das Hässliche, das leicht Morbide zieht den Reisenden an – so etwa ein kleiner Ort in den Hügeln des Piemont. „Wir fuhren mit dem Cinquecento durchs Gebirge, und als ich den Ort sah, kam er mir glücklicherweise völlig trostlos vor. Die Saison war vorbei und das Städtchen ziemlich ausgestorben.“
Er saß als Kind stundenlang auf dem Rücksitz, als es im Schritttempo über den Brenner ging, mit Asterix-Heften ausgestattet, die auf der unendlich langen Autofahrt für Abwechslung sorgen sollten. Später trampt er nach Biarritz, begibt sich mit dem Billigflieger nach Athen, und beobachtet eine Menschenschlange in Weimar, wo sich vor dem Goethehaus die Auswüchse des zeitgenössischen Kultur-Tourismus offenbaren.
Er zweifelt am Sinn all dieser Reisen - die Strapazen von tausenden Autokilometern („der Vater tritt für mich nur als Schulterpartie in Erscheinung, sein Kopf ist von der Kopfstütze verborgen.“), die Rudelführungen bei Pauschalreisen, und fragt, was Nicht-Leser zum Besuch des Goethehauses animiert.
Die Unbehaglichkeit des Protagonisten zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung, seine innere Ablehnung des „Normalen“ nimmt beinahe manische Züge an. Kindheits- und Jugenderinnerungen dienen vor allem dazu, sich vom bisherigen Leben zu separieren und den Blick für Alternativen zu schärfen. Es geht Andreas Maier ganz stark um das Anderssein, um einen latenten Kampf gegen kleinbürgerliche Konventionen, der bei seiner Hauptfigur offenbar zu spürbarem Unwohlsein führte: „In dieser Nacht legte ich mich völlig unruhig ins Bett“.
Reisen wird hier auf einen kollektiven Herdentrieb reduziert und mit Massenware aus dem Discountersortiment verglichen. Maier fährt mit Hilfe seines am liebsten die Einsamkeit genießenden Protagonisten ganz schweres Geschütz gegen den „modernen“ Konsum-Tourismus auf.
In keinem seiner Vorgängerwerke hat der seit einiger Zeit in Hamburg lebende Autor so harsch und so unverhohlen Gesellschaftskritik geübt. Ein Buch, das in Corona-Zeiten fertig gestellt wurde und uns zeigen soll, dass es schlimmere (teilweise existenzielle) Einschränkungen als die Reiseverbote gab.
Immer stärker nähert sich Autor Andreas Maier in seinem negativen Parlando dem bedeutenden österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard (1931-1989) an, über den er 2002 promoviert hat.
Wer sich auf diesen leicht maliziösen Sound einlässt, wer gerne abseits des Mainstreams wandelt und ab und an bereit ist, sich vor der geschwungenen moralischen Keule abzuducken, der wird auch auf der achten, ziemlich anstrengenden Etappe der literarischen „Ortsumgehung“ Gefallen finden.
Andreas Maiers Umkreisen des Ortes und des eigenen Ichs wird weiter gehen und uns am Ende vermutlich zum „lieben Gott“ führen (so soll der Abschlussband des Romanprojekts lauten). Da warten offensichtlich noch etliche biografische Schlaglöcher und viele intellektuelle Serpentinen auf dem Weg bis zum Ziel.
Andreas Maier: Die Städte. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021, 191 Seiten, 22 Euro
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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