Hartmut Langes Novellen „Der Lichthof“
Irrfahrt mit dem Navigator

„Es gibt kein Problem, das man nicht aus der Welt schaffen kann. Man muss nur verstehen, worum es geht“, lässt der inzwischen 83-jährige Hartmut Lange eine seiner Figuren, den Politologen Ronnefelder gleich zweimal sagen. Das klingt lange-untypisch, fast simpel, beinahe wie ein Kalenderspruch aus einem philosophischen Ratgeber.
Vom Berliner Novellisten ist man anderes gewohnt: jede Menge Düsternis, Rätselhaftigkeiten, tiefe seelische Abgründe und bisweilen schaurige Naturbeschreibungen, die er zumeist an einsamen Ufern der vielen Seen im Berliner Umland angesiedelt hat.
Hartmut Lange hat sich stets als Grenzerkunder zwischen Wahn und Sinn, zwischen Unterbewusstsein und suggerierter Fremd-Determination betätigt und äußerst versiert mit Fiktion und Meta-Fiktion gespielt. Zumeist ließ er uns mit einem offenen Ende und bewusst ausgelegten falschen Fährten nach der Lektüre zurück.
Im neuen Buch geht es etwas „softer“ zu. Je zweimal stehen gestörte Partnerschaften („Der Lichthof“ und „Der Navigator“) und Probleme mit dem Älterwerden im Zentrum („Der Weg zum Meer“ und „Ronnefelder“). Eine Frau ist allein zurück geblieben in einer üppigen Berliner Altbauwohnung und glaubt trotz geschlossener Fenster, einen Luftzug durch den Lichthof zu spüren. Ihr Misstrauen wächst ins Unendliche, sie wähnte ihren Mann auf einer Geschäftsreise, telefonierte mit ihm und fragte sich anschließend: „Woher konnte er wissen, dass ich wach war und unser gemeinsames Bett verlassen hatte?“
In der zweiten Beziehungsnovelle spielt ein Navigationssystem in einem PKW eine ganz wichtige Rolle. Das Paar fährt durch Österreich in Richtung Italien, als das „Navi“ offensichtlich zu „spinnen“ beginnt und das Fahrzeug von der Autobahn in ein entlegenes Kaff dirigiert. Der Italien-Aufenthalt wurde zum Desaster, der Streit um den defekten Navigator dominierte die Zweisamkeit. Susanne, so schien es, hatte Gefallen daran gefunden, sich in die Irre leiten zu lassen, dem Zufall Tür und Tor zu öffnen. Das Paar trennte sich („Jedenfalls hat er uns einen Weg gezeigt, auf dem es nicht mehr weitergeht.“), und am Ende hat jener Wolfgang den Navigator im Keller von Susannes verwaister Wohnung wieder gefunden - zwischen Hoffen und Bangen pendelnd.
Um handfeste psychische Probleme geht es auch in den beiden anderen Novellen. Ein Schauspieler und ein Politologe haben nicht nur mit ihrem biologischen Alter, sondern auch mit dem nachlassenden Interesse an ihrer Arbeit zu kämpfen. Schauspieler Gruber verschwindet am Ende irgendwo am Strand von Sylt – ein wiederkehrendes Motiv bei Hartmut Lange. Im „Wattwanderer“ (1990) schickte er seine Hauptfigur Völlenklee ins Wasser, und auch im Vorgängerwerk „An der Prorer Wiek und anderswo“ (2017) ließ er eine Rechtsanwältin einige Schritte ins Wasser gehen, und sie „wurde nie wieder gesehen.“
Der eingangs zitierte Politologe Ronnefelder, der sich nach seiner Emeritierung noch auf die Spuren des Buddhismus begab und ernüchtert heimkehrte, zersägte schließlich symbolträchtig sein Ehebett und untersagte seiner Haushaltshilfe, das drappierte Holz zu verändern.
Der fünfte Text des Bandes („In eigener Sache“) fällt stilistisch völlig aus der Reihe, handelt es sich doch dabei um das bisher einzige veröffentlichte autobiografische Fragment aus Langes Feder. Nüchtern, erschütternd, aber sprachlich längst nicht so pointiert wie die vier Novellen. Da hat Hartmut Lange die Worte wieder hingetupft wie bei einer Partitur. Und dass es im neuen Band weit weniger düster zugeht, ist überhaupt kein Makel. Es ist so, als wenn uns der Meister der zeitgenössischen Novelle sogar ein wenig an die Hand nimmt zu einem geheimnisvollen Spaziergang durch sein verschachteltes Gedankenlabyrinth.

Hartmut Lange: Der Lichthof. Novellen. Diogenes Verlag, Zürich 2020, 95 Seiten, 22 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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