„Krass“ - der neue Roman von Georg-Büchner-Preisträger Martin Mosebach
Ich bin ein Solitär

„Ich entstamme keiner Familie, ich gründe keine Familie, ich werde ohne Nachkommen sterben, ich bin ein Solitär.“ So beschreibt Martin Mosebach die Hauptfigur seines zwölften Romans „Krass“. Als "genialer Formspieler auf allen Feldern der Literatur" wurde er 2007 gepriesen, als ihm der Georg-Büchner-Preis verliehen wurde. Mosebach, der im Sommer seinen 70. Geburtstag feiert, gehört zu den eher leisen, aber dennoch deutlich vernehmbaren Stimmen im deutschsprachigen Literaturbetrieb. Der Frankfurter bevorzugt seit Jahr und Tag einen leicht altbackenen, detailverliebten Erzählstil und kokettiert überdies gern mit dem ihm verliehenen Attribut des "Erzkonservativen".

Sein neuer Roman kreist um die Themen Macht, Gehorsam und Ohnmacht sowie beinahe manisch übersteigertes Selbstbewusstsein, das sich hier auf den über 500 Seiten mit einer gehörigen Portion Hochstapelei mischt. "Mein ganzer Erfolg beruht auf meinem Selbstvertrauen", befindet die Hauptfigur.
Protagonist Ralph Krass hat es als Waffenhändler - leicht außerhalb der Legalität - zu respektablem Reichtum gebracht und hält sich im ersten Teils des Romans mit einer stattlichen Entourage anlässlich eines dubiosen Geschäftsmeetings in Neapel auf. Dort trifft er auf finster gezeichnete Araber. Immer an Krass' Seite sein Adlatus, ein ängstlich-subalterner Geisteswissenschaftler namens Jüngel, der seinen Chef ehrfürchtig als „Naturintellektuellen“ bezeichnet. Jener Dr. Jüngel führt uns über weite Strecken als neidvoll auf die Geschehnisse blickender Erzähler durch die Handlung.
Krass (der Name hat durchaus programmatischen Charakter) residiert in Neapel mit Blick auf den Vesuv, den er als adäquates Gegenüber betrachtet. Er führt ein Leben in protzigem Wohlstand, es wird edel gespeist und getrunken, alles wirkt etwas overstyled und von Mosebach mit „krassen“ Gegensätzen ausstaffiert. Der Protagonist ist grob, teilweise vulgär und abstoßend, aber dennoch großzügig, vielseitig kulturell interessiert und gebildet. Wenn er liest, reißt er die gelesenen Seiten aus dem Buch, es wird dünner und dünner. Jüngel schaut ihm dabei bewundernd zu, gerade so – als würde Krass das Buch bei der Lektüre „erledigen“.
Hält Mosebach unserer Gesellschaft damit einen Spiegel vor? Sollen wir so erschrecken, wie die Bachstelze (die auf dem Cover abgebildet ist), als sie ihr Spiegelbild sah? Steht der unkonventionelle Krass für ein neues, pseudomodernes Menschenbild? Skrupellos, machtbesessen und egoistisch!
Befinden wir uns in einem Prozess des Wertewandels? Auf einem Weg (zurück) zu klar strukturierten Befehlshierarchien?
„Die Kraft eines Genies besteht darin, die Realität seinem Willen zu unterwerfen und nach seinem Willen zu formen“, heißt es über die zwielichtige Hauptfigur Krass, die stets alle Rechnungen bar aus einem riesigen Koffer bezahlte. Wechselnde Erzählperspektiven führen bei der Lektüre zu Verunsicherungen, das emotionale Gleichgewicht gerät ein wenig verloren. Ist Krass lediglich ein karikierter Hochstapler oder hat diese disparate Figur doch das Potenzial für ein Idealbild in einer glasklar strukturierten konservativen Gedankenwelt? Die Fantasie des Lesers setzt quasi eine Meta-Handlungsebene in Gang, in der alles möglich oder unmöglich zu sein scheint.

Haltung bewahren

In der auf ziemlich genau zwanzig Jahre angelegten Handlung (1988-2008) sitzt Dr. Jüngel im zweiten Teil verlassen und verarmt in einem französischen Landhaus, verstoßen und aussortiert von Krass und beobachtet dort zwei Wellensittiche. Da erweist sich der bisweilen ausschweifende Erzähler Mosebach wieder einmal als genialer, detailverliebter und äußerst präziser Beobachter, dem man gerne den einen oder anderen nicht handlungstragenden Schlenker verzeiht.
Krass' endet im Schlussteil ähnlich wie sein Adlatus. Verarmt und gesundheitlich angeschlagen vagabundiert er durch Kairo, und man fühlt sich sogleich an die atmosphärisch dichten Schilderungen aus Mosebachs Vorgängerroman „Mogador“ erinnert, der in Marokko angesiedelt war.
In Kairo lernt Krass, der legitime Enkel von Thomas Manns „Felix Krull“, noch den jungen Rechtsanwalt Mohammed kennen, der sich rührend um ihn kümmert. Die Krass-Community ist geplatzt wie eine Seifenblase, zurück bleiben nur Verlierer. Sie unterscheiden sich allerdings in ihrem Habitus. Krass bewahrt selbst im Scheitern Contenance. Eine Attitüde, die sein Schöpfer Martin Mosebach in dieser turbulenten Gedankenreise künstlerisch perfektioniert hat. Am Ende dieses aufreibenden Wechselspiels zwischen Macht und Ohnmacht fühlt man sich ein wenig an Wassili und Nikita in Leo Tolstojs Erzählung „Herr und Knecht“ erinnert. Hier wie dort sind am Ende alle wieder gleich. Alles eine Frage der Haltung.

Martin Mosebach: Krass. Roman. Rowohlt Verlag, Hamburg 2021, 525 Seiten, 25 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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