Marco Balzanos Roman „Wenn ich wiederkomme“
Hoffnung ist wie Durst

„Ich wähle gern Themen, die unter unser aller Augen sind, aber von der Politik, den Medien verzerrt oder gar nicht angefasst werden“, erklärte der italienische Schriftsteller Marco Balzano jüngst in einem Interview mit der in Wien erscheinenden Tageszeitung „Die Presse“.

Einem solch brisanten Thema widmet sich der 44-jährige, in Mailand lebende Autor in seinem dritten in deutscher Übersetzung erschienenen Roman. Es geht um Arbeitsemigration und deren schwerwiegende Folgen.
Im Mittelpunkt des Romans steht Daniela, Mutter von zwei Kindern, die in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ihre rumänische Heimat verlässt, um in Italien als Altenpflegerin zu arbeiten und so ihren Kindern ein „besseres“ Leben ermöglichen will. „Mit Papa darüber zu reden ist sinnlos, deshalb bin ich heimlich gegangen. Das ist nicht schön, ich weiß, aber wenn ich nicht sofort zugesagt hätte, hätten sie eine andere genommen“, schreibt Daniela ihren Kindern Angelica und Manuel. Autor Balzano erzählt seinen Roman alternierend auf drei Erzählebenen – aus der Perspektive von Daniela und ihren Kindern Angelica und Manuel. Lediglich der dem Alkohol zugeneigte Ehemann Filip, der später auch die Kinder verlässt und als LKW-Fahrer durch Osteuropa kurvt, kommt nicht zu Wort.
Mutter Daniela will ihren Kindern mit dem in Italien hart verdienten Geld (sie arbeitet beinahe 24 Stunden und das sieben Tage in der Woche) einen bescheidenen Wohlstand und eine gute Ausbildung finanzieren. Bei ihren kurzen Heimatbesuchen bringt sie ihren Kindern neue Handys und Markentextilien mit.
Tochter Angelica erhebt schwere Vorwürfe gegenüber ihrer Mutter. Sie berichtet, wie schwer sie habe kämpfen müssen, um ihr Studium erfolgreich abzuschließen. Sie fühlt sich von den Eltern im Stich gelassen. Auch die finanziellen Zuwendungen der Mutter können für sie den Verlust der Familie nicht kompensieren.
Ihr jüngerer Bruder Manuel, der nach dem Fortgang des Vaters bei den Großeltern aufwuchs, unterstellt der Mutter sogar Egoismus und bezichtigt sie (in einer Mischung aus Naivität und Enttäuschung) sogar, sich in Italien ein schönes Leben zu machen.
Die soziale Not hat die Familie mit Brachialgewalt geteilt und die Familienmitglieder zu „Einzelkämpfern“ werden lassen. Auch ein schweres Unglück kann den Bruch nicht wieder kitten. Manuel verunglückt mit dem Moped und liegt in einem Krankenhaus im Koma. Im Mittelteil des Romans sitzt die Mutter am Klinikbett und spricht zu ihrem besinnungslosen Sohn. Sie offenbart ihre Beweggründe, pendelt zwischen Mitleid, Selbstvorwürfen und Hoffnung. „Hoffnung ist ja schließlich wie Durst, solange man lebt, wird man das nicht los.“ Dieser lange, sehr authentisch anmutende Monolog, der beinahe selbstverletzende Züge annimmt, geht bei der Lektüre unter die Haut. Es ist die emotional stärkste Sequenz in Balzanos Roman, in der durch die verloren geglaubte Mutterliebe doch noch ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu spüren ist.
„Hortete die westliche Welt einst männliche Arbeitskraft und Ressourcen, werden nun zunehmend helfende Hände in der Pflege gebraucht, und da diese Hände vor allem Alte, Kinder und Kranke versorgen sollen, setzt man bevorzugt auf die Hände von Frauen“, schreibt Autor Marco Bolzano in seinem Nachwort. Das liest sich so nüchtern und hart, beinahe unbarmherzig wie weite Teile des Romans. Es gibt kein Happy-End, keine Umarmungen, keine neuen Perspektiven.
Balzanos Roman „Wenn ich wiederkomme“ kreist um die fundamentalen Bausteine Entfremdung und Heimweh und hat die soziale Schieflage in Europa ungeschminkt eingefangen. Ein erschütterndes Buch über modernes Sklaventum im Europa des 21. Jahrhunderts.

Marco Balzano: Wenn ich wiederkomme. Roman. Aus dem Italienischen von Peter Klöss, Diogenes Verlag, Zürich 2022, 312 Seiten, 22 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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