Marco Balzanos Band „Café Royal“
Eine Straße – eng und elegant
„Ich wähle gern Themen, die unter unser aller Augen sind, aber von der Politik, den Medien verzerrt oder gar nicht angefasst werden“, hatte der italienische Schriftsteller Marco Balzano in einem Interview mit der in Wien erscheinenden Tageszeitung „Die Presse“ erklärt. In seinem Roman „Ich bleibe hier“ (2018), dessen Handlung im Vinschgau (Südtirol) angesieldet ist, hatte er sich mit einem dunklen Kapitel italienisch-deutsch-österreichischer Geschichte auseinander gesetzt. Sein letzter Roman „Wenn ich wiederkomme“ kreiste um das Thema illegale Arbeitsmigration.
Der nun vorliegende Band mit 18 Kurzgeschichten liest sich dagegen beinahe beschaulich. Der 46-jährige Marco Balzano hat unterhaltsame Portraits von Figuren vorgelegt, die zur besseren Mailänder Gesellschaft gehören und sich mit kleinen und großen Sorgen durch den Corona-Alltag lavieren.
Im Mittelpunkt steht dabei das titelgebende „Café Royal“, Treffpunkt für Gott und die Welt, zum plaudern, für den kleinen Imbiss oder einfach nur als pulsierender Ort, um Mitmenschen zu beobachten.
Generationsprobleme, gebrochene Herzen, Klatsch und Tratsch – all das bietet das Café Royal, gelegen im Mailänder Bankenviertel, in der Via Marghera „eng und elegant, auch diese Straße ändert sich nie, mit unbekümmerter Ironie erträgt sie die Zeit.“
Uns begegnen höchst unterschiedliche Figuren: der frustrierte Arzt Federico, ein reicher Anwalt, ein Workaholic, der Probleme mit seiner exaltierten Frau hat, die sich als große Dichterin sieht, die von ihrem Ehemann gelangweilte Veronica, die sich regelmäßig mit ihrer Jugendliebe Luca vergnügt, eine Frau, die sich beim Martini unsterblich in einen Fremden verliebt, die betagte Betti, die von ihrem Sohn mittels einer in ihrer Wohnung installierten Video-Kamera bespitzelt wird, und ein Priester, der mit seinem Leben und seinem Job hadert: „Ich lese die Messe wie ein Postbeamter.“
Erinnerungen an den Lockdown und an teilweise dramatische Covid-Verläufe eint die Figuren. Die meisten sind ein wenig unglücklich, gehen mit einer Träne im Augenwinkel durch den Alltag. Hier wird auf hohem Niveau gejammert. Nein, das ist nicht das Bild des dolce vita mit gepflegtem Espresso in einem der vielen Straßencafés.
Marco Balzano erzählt mal in der Ich-Form, mal aus der auktorialen Perspektive – immer mit einer gehörigen Portion Ironie im Köcher. In „seinem“ Mailand scheint nicht unentwegt die Sonne. Im Gegenteil: Seine Geschichten aus der lombardischen Metropole verströmen eine gedämpfte Atmosphäre, der Himmel über Mailand trägt dicke Wolken.
„Gut gekleidet sind die Menschen hier, ruhig und gesittet, aber auch sie leiden“, schreibt Balzano über sein Figurenensemble aus der Via Marghera. „Café Royal“ präsentiert uns Figuren in höchst unterschiedlichen Stimmungslagen, Menschen, wie man sie aus der eigenen Nachbarschaft zu kennen glaubt - von Balzano präzise beobachtet und liebevoll nachgezeichnet. Mit leichter Hand geschrieben, humorvoll und doch mit Tiefgang.
Marco Balzano: Café Royal. Aus dem Italienischen von Peter Klöss. Diogenes Verlag, Zürich 2024, 192 Seiten, 24 Euro
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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