Annette Pehnts Roman „Die schmutzige Frau“
Ein goldenes Gefängnis
„Du wolltest doch immer schreiben, sagt er und lächelt mir zu, während er das Buch und den Papierstapel vorsichtig auf meinem Schreibtisch ablegt.“ So beschreibt die namenlose Ich-Erzählerin in Annette Pehnts neuem Roman „Die schmutzige Frau“ eine Schlüsselszene der Handlung.
Die eigene Wohnung zum Schreiben, ein beinahe stiller Rückzugsort, um der Kreativität freien Lauf lassen zu können – das alles hatte sich die Protagonistin, Mutter von zwei erwachsenen Kinder, gewünscht. Eine bescheidene, beinahe demütige Frau, verheiratet mit einem gänzlich unsympathisch gezeichneten Mann, der nur „Meinmann“ genannt wird und wie ein dominanter Patriarch mit lächelndem Antlitz durch die Handlung stolziert. Die Frau bekennt, „dass ich mich vor seinem kühlen Blick fürchtete, mit dem er mich musterte, wenn ich einen Fehler begangen hatte.“
Die 55-jährige Annette Pehnt, die seit 2018 eine Professur für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim bekleidet, hat einen faszinierend ausgeklügelten Text mit gegensätzlich angelegten Figuren vorgelegt, in dem sich beinahe alle Gewissheiten verändern oder sogar ins Gegenteil verwandeln.
Die Ehepartner sind dominant und passiv, selbstbewusst und introvertiert. Die eigene Wohnung zum Schreiben wird mehr und mehr zum Gefängnis. Im Luxus der finanziellen Unabhängigkeit entsteht jede Menge Leid. Die Protagonisten ist ein wenig aus der Zeit gefallen, eine ganz spezielle Künstlerfigur, die ohne Laptop, Internet und Telefon in der selbstgewählten Isolation lebt. Ihr Mann hat alles organisiert und eingerichtet, er geht sogar für sie einkaufen und bestimmt, wer zu Besuch kommt. Dabei präsentiert er seine Frau wie ein Ausstellungsstück. Die erhoffte Ruhe in der Abgeschiedenheit verwandelt sich zusehends in eine kaum fassbare innere Unruhe. Die ersehnte Freiheit (hier zum kreativen Ausleben) verwandelt sich in eine totale Abhängigkeit, da die weibliche Hauptfigur ihre Wohnung nicht mehr verlässt. Anfangs hat die Frau mit der „künstlerischen Neigung“, da klang latent immer ein leicht despektierlicher Unterton mit, ihr Hochhaus-Refugium durchaus geschätzt: „Meinmann ist kein Wärter und ich keine Gefangene.“
Auch formal hat dieser schmale Roman von Annette Pehnt einiges zu bieten. Es gibt keine Punkte am Satzende, stattdessen Versumbrüche, die dem Text einen geheimnisvollen offenen Schwebezustand verleihen. Kursiv in den Text integriert sind die Geschichten, die die Protagonistin in ihrer „Schreibkammer“ verfasst hat. Auch hier hat Annette Pehnt ganz bewusst mit Gegensätzen gearbeitet. Einmal gewagt, formal schwebend und dann eingeflochten die konventionell und bieder erzählten Texte der Hauptfigur, in denen auch eine „kleine schmutzige“ Frau vorkommt, die selbst durch intensivstes Waschen nicht mehr sauber wird. Und schmutzig (im Sinne von nicht makellos) fühlte sich auch die Protagonistin an der Seite ihres übermächtigen Mannes.
„Während ich ihn früher groß gewachsen fand, scheint er mir heutzutage eher klein“, heißt es am Ende des Romans, der eine langsame Bewusstseinsveränderung der Protagonistin transportiert. Nach einem Wasserschaden hat sie die Wohnung (ihr goldenes Gefängnis) verlassen und streunt durch einsame Gassen: „Ich spüre, wie ich hier langsam gehe und lächle, wie mein Gesicht um die Lippen herum und in den Augenwinkeln aufbricht, wie die Haut zuckt und spannt.“
Am Ende glaubt man zu spüren, dass dieser Roman nicht nur geschrieben, sondern komponiert wurde. Vielstimmig - mit zarten Geigentönen und kräftigen Trompetenklängen. Entfremdung, Isolation, gescheiterte Selbstverwirklichung, die Zweischneidigkeit des Glücks und die Schwierigkeiten des Schreibprozesses – all das hat Annette Pehnt mit leichter Hand thematisiert. Und „Die schmutzige Frau“ ist überdies auch ein Buch, in dem es unausgesprochen um Sehnsüchte geht – nach Liebe und Anerkennung.
Annette Pehnt: Die schmutzige Frau. Roman. Piper Verlag, 165 Seiten, 22 Euro
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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