Drei Frauen und ein Mord


Margriet de Moors Roman „Von Vögeln und Menschen“

"Das einzige Leben, das zählt, ist das normale Leben. Je normaler, umso wunderbarer, je alltäglicher, umso prachtvoller“, heißt es im neuen Roman der 76-jährigen niederländischen Schriftstellerin Margriet de Moor, die in der Vergangenheit auch hierzulande mit "Der Herzog von Ägypten" (1997), "Die Verabredung" (2000) und mit ihrem Meisterwerk "Sturmflut" (2005) beachtliche Erfolge gefeiert hat.

Von einem normalen unbeschwerten Leben sind die drei Frauen, die im Mittelpunkt des neuen Romans stehen, meilenweit entfernt. Zwei von ihnen haben einen Menschen getötet, die Dritte saß viele Jahre im Gefängnis für einen Mord, den sie nicht begangen hat.
Louise Bergman hat als Haushälterin für den vermögenden Pensionär Bruno Mesdag gearbeitet. Der 90-jährige Senior wird tot in seiner Wohnung aufgefunden, Louise gesteht zunächst den Mord, widerruft dann ihr Geständnis, muss aber dennoch viele Jahre ins Gefängnis.
Ihre Familie zerbricht, die zur Tatzeit neunjährige Tochter Marie Lina wächst bei Verwandten auf und ist vom Schicksal ihrer Mutter zeitlebens traumatisiert.
Das Wissen um die Unschuld der Mutter treibt die später als Krankenschwester arbeitende Marie Lina auch noch um, als sie längst mit Rinus Caspers verheiratet ist und ein scheinbar glückliches Leben führt.
Geradezu obsessiv klemmt sie sich auf die Fährte von Klazien Wroude - die wahre Mörderin des Rentners Mesdag. Die Tochter observiert die Täterin in deren Haus in Katwijk, und als sie sich vor dem Amsterdamer Bahnhof begegnen, kommt es zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf die Fußpflegerin Klazien Vroude in eine Baugrube stürzt und später an den erlittenen Verletzungen stirbt.
„Ich habe mein ganzes Leben lang an nichts anderes gedacht“, bekennt die junge Frau im Prozess. Ihrem Wunsch, als Mörderin verurteilt zu werden, kommt das Gericht allerdings nicht nach.
Margriet de Moor erzählt diesen schmalen Roman aus alternierenden Perspektiven – mal als Brief, mal als Monolog und dann von einer auktorialen Stimme. "Friedliche Stille, wenn auch trügerisch," lautet der dritte Satz des Romans. Das klingt zunächst ziemlich lapidar, doch je weiter man mit der Lektüre fortschreitet, stellt sich genau dieses Gefühl immer wieder ein.
Mit großer psychologischer Intuition bettet Margriet de Moor das eigentlich Unfassbare in den bürgerlichen Alltag ein und versucht, das Verbrechen zu entdramatisieren. Nicht Verständnis, sondern Empathie heißt das Zauberwort für diesen Roman, der wieder einmal ein subtil arrangiertes Spiel mit (Un)-Möglichkeiten präsentiert. Für den Leser gilt es, biografische Bruchstellen freizulegen und seine eigenen Emotionen zwischen Schuld und Sühne auszutarieren. Die Kardinalfrage stellt Margriet de Moor selbst im Roman: „Wie kriegt man einen Menschen um Gottes willen so weit, einen Mord zu bekennen, den er nicht begangenen hat?“

Margriet de Moor: Von Vögeln und Menschen. Roman. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Carl Hanser Verlag, München 2018, 264 Seiten, 23 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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