Die Worte verführten mich
Zum 85. Geburtstag des Schriftstellers Günter Kunert am 6. März*
„Eines Tages, nach dem Krieg, lieh ich mir eine Schreibmaschine, um einen Brief zu schreiben. Da fiel mein Blick auf die große Kastanie im Hof, und ich stellte mir vor, dass die Äste bedrohlich wachsen und in die Zimmer ringsum eindringen. Plötzlich fing ich an, Zeile für Zeile untereinander zu schreiben, wie in Trance. Die Worte verführten mich! Von da an schrieb ich fast täglich“, erinnert sich Günter Kunert an seine schriftstellerischen Anfänge zurück.
Kunert, der heute* vor 85 Jahren in Berlin als Sohn eines Kaufmanns und einer jüdischen Mutter geboren wurde, verbrachte - wie er es selbst nannte - „eine staatlich verpfuschte Kindheit“, in der ihm höhere Schulen aus ideologischen Gründen verwehrt blieben. Diese prägenden Kindheits- und Jugenderlebnisse sind in dem eindrucksvollen Erinnerungsband „Erwachsenenspiele“ (1997) nachzulesen. Über fünfzig Bücher (Gedichte, Erzählungen, Romane, Hörspiele, Essays und Filmdrehbücher) sind seit 1950 erschienen, als Kunert mit dem Lyrikband „Wegschilder und Mauerinschriften“ ein vielbeachtetes Debüt feierte.
Nach dem Studium an der Ostberliner Hochschule für angewandte Kunst widmete er sich früh der Literatur. Gefördert durch Bert Brecht und Johannes R. Becher besuchte er gemeinsam mit Erich Loest und Heiner Müller die „staatliche Schreibschule“ der ehemaligen DDR. Doch Kunert entpuppte sich schnell als politischer und literarischer Nonkonformist.
Nachdem Kunert 1976 die Resolution gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann unterzeichnet hatte, avancierte er zur Persona non grata in der DDR, die er 1979 unter dem Druck des Honecker-Regimes verließ.
Immer waren seine Gedichte (fraglos seine literarische Stärke) von präzisen Beobachtungen, von einem minuziösen Sprachgestus und nicht selten von radikaler Zuspitzung geprägt. Wie etwa in dem frühen Text „Über einige Davongekommene“: „Als der Mensch/ unter den Trümmern/ seines/ bombardierten Hauses/ hervorgezogen wurde/ schüttelte er sich/ und sagte:/ nie wieder/ Jedenfalls nicht gleich“.
Nie hat sich Kunert, der in der Vergangenheit u.a. mit dem Stadtschreiberpreis von Mainz, mit dem Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf, mit dem Hölderlin-Preis und vor zwei Jahren sogar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, in den Elfenbeinturm zurückgezogen. Ob in seinen Gedichten oder in seinen zahlreichen Essays: Kunert, der seit 1980 im schleswig-holsteinischen Dorf Kaisborstel lebt, hat sich bewusst eingemischt, hat stets die Finger in offene Wunden gelegt.
Mit bitterer Ironie („Besonders wirksam ist die plebiszitäre Ästhetik: Je mehr Leser, desto bedeutender das Werk.“) und analytischem Scharfsinn prangert der Jubilar die „Kulturverluste“ an. Niemand wird ihm widersprechen, wenn er feststellt: „Immer mehr Bücher, mehr Museen, mehr Galerien, mehr Konzerte, aber... alles wird zu Unterhaltung, Ablenkung, Selbsttäuschung, Alibi.“
Günter Kunert, einer der bedeutendsten deutschsprachigen Nachkriegslyriker, „wohnt“ aber immer noch da, wo er stets seinen Platz hatte. In seinem 1994 erschienenen Essayband „Baum, Stein, Beton“ hat er diesen „Ort“ genau beschrieben: „Zum Glück gibt es Heimat in einem abstrakten Zustand, der den Namen ,Kunst' trägt.“ Pünktlich zum Geburtstag des Autors ist ein Sammelband mit Gedichten erschienen, die nach der Jahrtausendwende entstanden sind.
Lesetipp:
Günter Kunert: Fortgesetztes Vermächtnis. Gedichte. Carl Hanser Verlag, München 2014, 176 Seiten, 14,90 Euro.
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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