Die Süße des Fliegenpapiers- zum Tod des Lyrikers Hans-Jürgen Heise
„Jedem Menschen werden die Merkmale seiner Herkunft eingebrannt wie einem Texas-Rind der Stempel des Besitzers“, schrieb Hans-Jürgen Heise in seiner 1998 veröffentlichten Teil-Autobiografie „Die Süße des Fliegenpapiers“.
Heise stammt aus Pommern, und diesem Menschenschlag werden nicht die lauten Töne, sondern eine Affinität zum anspielungsreichen Witz nachgesagt.
Dies belegte er nachhaltig in seinen Lebenserinnerungen und auch in seiner Lyrik. Über seine in der Kindheit zunächst unerkannte Kurzsichtigkeit konstatierte er im Rückblick, dass er nur so viel von der Welt zu sehen bekam, wie „mit minus sieben Dioptrien behaftete Augen zu erkennen gaben.“ Den scharfen und präzisen Blick hat er sich im Laufe der Jahre dennoch angeeignet. Kombiniert mit seinem hintersinnigen Humor ergab sich eine lyrische Treffsicherheit, die ihresgleichen suchte und wunderbar präzise unseren Alltag auf den Punkt brachte. So zum Beispiel im 1996 erschienenen Band „Heiterkeit ohne Grund“, in dem es heißt, dass ein „Billardtisch das einzige Grün in der Stadt“ ist.
Hans-Jürgen Heise, der am 6. Juli 1930 in Bublitz (Pommern) geboren wurde, hatte die Literatur nie zu seinem Hauptberuf gemacht. Er arbeitete mehr als 30 Jahre als Archivlektor im Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Seit Anfang der 60er Jahre hat er dennoch mehr als fünfzig Bände mit Gedichten, Essays, Kritiken und Reiseberichten vorgelegt hat. Hinzu kommen unzählige Beiträge für Anthologien, Übersetzungen und kritische Kommentare für Funk und Printmedien.
Seine frühen Gedichte standen unter einem deutlichen traditionalistischen Einfluss: Rilke, Pound, Rimbaud und Eich waren die Vorbilder. Allein diese verschiedenen dichterischen Charaktere deuten auf Heises große Belesenheit hin. Später kamen noch Elemente aus den Werken von Garcia Lorca und Rafael Alberti hinzu.
Mit sparsamem Vokabular gelang es Heise, der 1990 Jahren vom Land Schleswig-Holstein zum Ehrenprofessor ernannt wurde, Alltagsbegebenheiten authentisch zu thematisieren. So auch im Gedicht „Untermieter“ aus seinem jüngst erschienenen Band „Das Zyklopenauge der Vernunft“. Darin heißt es: „Vor meinem Fenster/hinter meinem Fenster/überall/nur Hausgespenster/Mit Masken!/doch auch unmaskiert/bärtig (doch auch glatt rasiert)/Untermieter meiner Seele/greifen sie mir an die Kehle/umtanzen mich auf Rattenfüßen/lassen im Zwielicht/die Logik grüßen.“
Heise, der mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde, strebte in seinen Versen, „die Entwicklung und Verfeinerung eines kritischen Intensivismus“ an. Doch nicht nur die qualitative Kontinuität seiner Lyrik hat Beachtung gefunden; auch die profunden, leserfreundlichen Essays über die lateinamerikanische Literatur sind wahre Fundgruben für Liebhaber - vor allem der gemeinsam mit seiner Ehefrau Annemarie Zornack herausgegebene Band „Der Macho und der Kampfhahn“ (1987).
Bereits am 13. November ist Hans-Jürgen Heise, einer der leisen, aber prägenden Vertreter der deutschen Nachkriegslyrik, in Kiel im Alter von 83 Jahren gestorben.
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.