Vor 125 Jahren (* am 5. September) wurde der österreichische Schriftsteller Heimito von Doderer geboren
Die Erkenntnis meiner Dummheit

"Mein eigentliches Werk besteht, allen Ernstes, nicht aus Prosa oder Vers: sondern in der Erkenntnis meiner Dummheit", hatte der österreichische Schriftsteller Heimito von Doderer in seinen autobiografischen Aufzeichnungen notiert.

An seinem Leben und Werk scheiden sich noch immer die Geister. Für den angesehenen Germanisten und langjährigen FAZ-Autor Peter Demetz ist von Doderers Hauptwerk „Die Dämonen“ ein wichtiger Beitrag zur Weltliteratur, andere Kritiker sahen in ihm einen hoffnungslos konservativen Zeitgenossen mit politisch suspekter Vergangenheit.
Aber selbst seine schärfsten ideologischen Gegenspieler sprachen ihm nicht seinen künstlerischen Rang, seine stilistische Noblesse und seinen erzählerischen Furor ab. Von Doderers öffentliche Rezeption war diesbezüglich durchaus vergleichbar mit der von Ernst Jünger oder Ezra Pound.
„Doderer schreibt einen neuen Roman. Sein Inhalt? Herr von X geht über die Ringstraße. Die ersten 1.000 Seiten sind schon fertig“, spöttelte einst bewundernd der Schriftsteller und Freund Hans Weigel.
Heimito von Doderer wurde am 5. September 1896 als Sohn eines wohlhabenden Architekten in der Nähe von Wien geboren. Nach der Matura nahm er als Freiwilliger in einem Dragoner-Regiment am Ersten Weltkrieg teil. Etwa einen Monat nach seiner Gefangennahme wurde Doderer zusammen mit anderen Offizieren nach Sibirien in das Gefangenenlager Krasnaja Rjetschka nahe Chabarowsk verlegt. Dort beschloss er, so ein Selbstzeugnis, Schriftsteller zu werden, und verfasste erste Prosatexte. Überliefertes aus den Anfängen ist postum unter dem Titel „Die sibirische Klarheit“ erschienen). Von Doderer, der 1925 mit der Arbeit „Zur bürgerlichen Geschichtsschreibung in Wien während des 15. Jahrhunderts“ promovierte, nahm an beiden Weltkriegen teil. Die Männerfreundschaften von der Front haben bei ihm die Neigung zur Bisexualität hinterlassen - ein Phänomen, mit dem er sich auch literarisch auseinandersetzte.
1933 trat der Schriftsteller in die NSDAP ein, von der er sich nicht lossagte und 1939 noch seine Mitgliedsbeiträge gezahlt hat. Diese Tatsache wird heute vielerorts dadurch zu erklären versucht, dass Doderer seine schriftstellerische Karriere nicht gefährden wollte. Eine verharmlosende These, denn die literarisch wichtigen Werke publizierte der Autor erst lange nach Kriegsende.
In seinem Hauptwerk „Die Dämonen“ (1956/das Gesamtwerk liegt im C.H. Beck Verlag vor) spiegelt Doderer, wenn auch leicht verschleiert, in der Figur des René Stangeler seine eigene Vita wider. Es geht um die politische Verführbarkeit unbedarfter Bürger Ende der 1920er Jahre. Mit Hilfe der gleichen Kunstfigur hatte Doderer bereits fünf Jahre zuvor in seinem meistverkauften Roman „Die Strudlhofstiege“ (heute ist das aus der Jahrhundertwende stammende Brückenbauwerk ein beliebter Wallfahrtsort für Doderer-Jünger) nicht nur ein eindrucksvolles Wiener Panorama geschaffen, sondern überdies auch seinen eigenen lasterhaften Lebenswandel portraitiert, über den außerdem die Tagebücher seiner langjährigen Geliebten und Autorenkollegin Dorothea Zeemann Auskunft geben. Doderers geradezu ausladende Materialfülle, die Opulenz seiner Texte und auch seine sprachliche Ausdruckskraft – all das stand im krassen Gegensatz zur sogenannten Kahlschlagliteratur der frühen Nachkriegszeit.
Noch in seinen beiden Spätwerken „Die Merowinger“ (1962) und „Die Wasserfälle von Slunj“ (1963) fuhr Heimito von Doderer weiter auf seinem eingefahrenen literarischen Gleis: Stets rückwärtsgewandt sind seine Romane, immer schwebt ein gewisser nostalgischer Schleier, eine Neigung zur historischen „Schönschreibung“ über den Zeilen, vermengt mit einem depressiven Grundtenor, den Doderer, so ein Selbstzeugnis, von seinem literarischen Ahnherrn Nikolaus Lenau geerbt haben will. Der ehemalige Offizier mit dem Hang zum nostalgischen Pathos war ein gerngesehener Plauderpartner in Nachkriegsszene alter und junger Künstler. Mit Helmut Qualtinger und Peter Alexander traf er sich häufig im Café Marietta.
Dabei präsentierte sich Doderer, der am 23. Dezember 1966 in Wien starb, als der österreichischste aller Dichter unseres Jahrhunderts. Er übertraf Joseph Roth in seinen überschwänglichen Hymnen auf Wien, er setzte die Freudschen Erkenntnisse - dank seiner eigenen Lebenserfahrungen (zwei gescheiterte Ehen und zahllose Liebschaften) - prägnanter in seinen Werken um, als es Arthur Schnitzler vermochte, und war für das breite Lesepublikum einfacher zu „konsumieren“ als Robert Musil.
„Schön gelebtes, erinnertes Leben ist die einzige Möglichkeit, Wirklichkeit nicht ideologisch wahrzunehmen“, notierte Heimito von Doderer, der sich die Goethesche-Forderung nach „Wein, Weib und Gesang“ offenkundig zur Lebensmaxime auserkoren hatte. Vor fünf Jahren war anlässlich des des 50. Todestages im Verlag C.H. Beck eine vierbändige Sonderausgabe mit den Romanen "Die Strudlhofstiege", "Die Merowinger oder Die totale Familie", "Ein Mord, den jeder begeht" und "Die Wasserfälle von Slunj" erschienen. Anlass genug, um die wichtigsten Werke eines begnadeten Erzählers, zwiegespaltenen Zeitgenossen und heftig umstrittenen Wiener Intellektuellen (wieder) zu entdecken.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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