Desillusionierte Tochter Südafrikas
Zum Tod der Literatur-Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer
Sie hat lange und unerbittlich gegen das Apartheidregime gekämpft. Umso größer war ihre Enttäuschung über die später folgende politische Entwicklung Südafrikas. In ihrem letzten Roman „Keine Zeit wie diese“ (2012) erzählte die in ihren letzten Lebensjahren völlig desillusionierte Nadine Gordimer von der Vetternwirtschaft der einstigen Helden des ANC - von Korruption, Egoismus und politischer Inkompetenz.
„Nadine Gordimer ist eine der ganz großen literarischen Stimmen unserer Zeit. Als Meisterin ihres Metiers verbindet sie politische Themen, literarischen Anspruch und sprachliche Ästhetik in einem harmonischen Ganzen“, hatte vor zehn Jahren der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber in München in seiner Laudatio zur Verleihung des Internationalen Corine Buchpreises für Nadine Gordimers Lebenswerk verkündet.
Gegen das einstige südafrikanische Unrechtsregime der Weißen hat sie zeitlebens in ihren Büchern gekämpft, die in der Heimat viele Jahre lang der Zensur zum Opfer fielen und zumeist in England erstveröffentlicht wurden. Die südafrikanische Zeitung „Business Day“ konstatierte zutreffend: „Lange, bevor es populär wurde, hat Nadine Gordimer die Apartheid verurteilt.“
Als Nadine Gordimer 1991 der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde, reagierte die südafrikanische Autorin mit Erstaunen und Zurückhaltung. „Ich hoffe nicht, dass ich diese Auszeichnung für mein Engagement gegen die Apartheid bekommen habe“, so ihr kritischer Kommentar.
Das entschiedene Eintreten gegen die Apartheid verband sie mit ihrem Landsmann J.M. Coetzee, der 2003 von der Stockholmer Akademie ausgezeichnet wurde und zu dessen ersten Gratulanten Nadine Gordimer damals zählte: „Er ist ein guter Freund und ein großer Schriftsteller.“ Wie Coetzee, der inzwischen in Australien lebt, hatte auch Nadine Gordimer ein sehr ambivalentes Verhältnis zu ihrer Heimat: „In den 70er Jahren haben mein Mann und ich darüber nachgedacht, nach Zentralafrika, nach Sambia auszuwandern. Ich habe immer gesagt, ich bin Afrikanerin und bleibe in Afrika. Aber auch dort wären wir Außenseiter gewesen. Südafrika ist der Ort meiner Wirklichkeit.“
Die Nobelpreisträgerin, die der ANC-Politiker Walter Sisulu als „wahre Tochter Afrikas“ bezeichnete, wurde am 20. November 1923 in der Goldgräberstadt Springs bei Johannesburg als Tochter eines jüdischen Juweliers aus Litauen und einer konservativen Engländerin geboren. Dieses familiäre Spannungsfeld bildet auch den erzählerischen Rahmen ihres Romanerstlings „Entzauberung“ (1953). Die Rassentrennung mit all den daraus resultierenden negativen Facetten hat Nadine Gordimer später als literarisches Sujet immer wieder aufgegriffen, so in „Fremdling unter Fremden“ (1958) und dem im deutschen Sprachraum erstmals beachteten Roman „Burgers Tochter“ (1981). Dieses Buch hat Nadine Gordimer in einem Interview neben dem „Besitzer“ (dt. 1989) als ihr Lieblingsbuch bezeichnet.
Fiktion und Fakten
Die späteren umwälzenden gesellschaftlichen Veränderungen in ihrer Heimat am Kap nahm sie bereits 1982 in ihrem Roman „Julys Leute“ vorweg. Der psychologische Realismus des 19. Jahrhunderts (etwa wie bei Charles Dickens) findet sich in Nadine Gordimers Werken ebenso wieder wie Einflüsse ihrer deutschsprachigen Vorbilder Robert Musil, Thomas Mann und Max Frisch.
„Fiktion beginnt immer mit den Fakten. Sie erkundet sie, sie beobachtet das Leben von Menschen“, hat Nadine Gordimer einmal ihr eigenes literarisches Credo treffend charakterisiert. Und auch im hohen Alter war sie immer noch eifrig literarisch tätig. 2006 war der (inhaltlich ein wenig überfrachtete) Roman „Fang an zu leben“ erschienen, 2008 der Erzählband „Beethoven war ein Sechzehntel schwarz“, in dem sie sich mit dem Tod ihres 2001 verstorbenen, langjährigen Lebensgefährten Reinhold Cassirer auseinander gesetzt hat und 2012 der bereits erwähnte Roman „Keine Zeit wie diese“.
„Hohes Alter allein ist keine Leistung. Was zählt ist, was man aus den Jahren gemacht hat.“ Diese Sätze hatte Nadine Gordimer vor sechs Jahren an Nelson Mandela zu dessen 90. Geburtstag geschrieben. Was beide verband, war neben dem hohen Alter eben ihre beeindruckende Lebensleistung.
Nun ist die Nobelpreisträgerin des Jahres 1991 im Alter von 90 Jahren in Johannesburg gestorben.
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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