Leila Slimani: „Der Duft der Blumen bei Nacht“
Der Nachtjasmin im Museum

„Ich entfliehe der menschlichen Komödie. Ich tauche unter den dicken Schaum der Dinge. Ich verschließe mich der Welt nicht, im Gegenteil, ich nehme sie intensiver wahr denn je“, heißt es in Leila Slimanis essayistischen Erinnerungsband.

Im Oktober hat die in Rabat geborene und seit vielen Jahren in Paris lebende Autorin gerade ihren 40. Geburtstag gefeiert. 2016 hatte sie bereits den renommierten „Prix Goncourt“ erhalten, und ihr 2017 in deutscher Übersetzung erschienener Roman „Dann schlaf auch du“, in dem ein Kindermädchen zur Mörderin wird, wurde in Frankreich im ersten Jahr gleich 350.000-mal verkauft.
In ihrem dritten Roman („Das Land der Anderen“, 2021) hat die Tochter aus großbürgerlichem Haus (ihre Mutter war Ärztin, ihr Vater zwei Jahre marokkanischer Wirtschaftsminister) den Lebensweg ihrer Großeltern fiktionalisiert. Herausgekommen ist dabei ein ebenso faszinierendes wie beklemmendes Opus über das Fremdsein. Der zweite Teil der geplanten Trilogie ist unter dem Titel "Regardez-nous danser" ("Seht uns tanzen") gerade bei Gallimard erschienen.
Das nun erschienene schmale Bändchen ist Slimanis bisher persönlichstes Buch. Auf Vorschlag einer Lektorin hat sie über die Erfahrungen einer Nacht im Museum geschrieben, über das Eingeschlossensein, die Einsamkeit und die Nähe zu den Kunstwerken. Slimanis Ehrlichkeit ist frappierend: „Keinen Moment lang habe ich gemeint, ich hätte etwas Interessantes über zeitgenössische Kunst zu sagen."
Da gibt es ein paar oberflächliche Eindrücke von Venedig, aber ihre nächtliche Begegnung mit der Kunst im Museo Punta della Dogana löst (der Reflex scheint sehr konstruiert zu sein!) lediglich biografische Erinnerungen an ihre Kindheit aus, vor allem an den Vater, der in eine Korruptionsaffäre verstrickt war, ins Gefängnis musste und kurz nach dem Haftende verstorben ist.
Leila Slimani lässt uns auch an den typischen Problemen beim Schreibprozess teilhaben. Sie berichtet von der Leere im Kopf, gegen die man häufig anzukämpfen hat und vom schmerzhaften Gefühl vor einem leeren Blatt Papier oder einem weißen Monitor zu sitzen.
Aber immer wieder kehrt Slimani zu den Wurzeln ihrer Identität und zu ihrer eigenen Vita zurück, zu ihrem Weg zur „guten, weil assimilierten Araberin“ in Paris. "Ich bin das Kind einer Generation mit verletzter Identität, der Generation meiner Eltern, die von Freiheit, Demokratie, Frauenemanzipation aus dem Mund derer erfuhr, die sie im Namen der Rasse und der Kolonialideologie unterdrückten“, bekennt Slimani. Um genau diese komplexe, politisch-historische Gemengelage kreist Slimanis großes und hoch ambitioniertes Trilogie-Projekt.
Im Zentrum des Museums in Venedig wächst Nachtjasmin, für Slimani ein vertrauter Geruch aus ihrer Kindheit in Marokko, der zudem diesem Bändchen den Titel verlieh. Eine ganz schmale thematische Brücke zwischen der Museumsnacht und Slimanis höchst subjektiven Text.
„Der Duft der Blumen bei Nacht“ ist nur ein kleines, handwerklich grundsolides und sprachlich mit leichter Hand geschriebenes Nebenwerk, eine Marginalie neben Leila Slimanis großen Romanen. Ein kleines Büchlein zum „Verzehr“ für zwischendurch.

Leila Slimani: Der Duft der Blumen bei Nacht. Aus dem Französischen von Amelie Thoma. Luchterhand Verlag, München 2022, 159 Seiten, 20 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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