Dekorationsstück der Politik
Literaturnobelpreisträger Gao Xingjian wird am 4. Januar* 75 Jahre alt
„Für mich ist Literatur niemals angenehm. Ein Buch verdient, gelesen zu werden, wenn es an eine Essenz rührt, ohne Umschweife. Was ich geschrieben habe, ist ohne Umschweife. Ich bin draufgängerisch. Und das nicht nur ein Stück weit, wie es für manche Leser zuträglich ist“, hatte der erste chinesische Nobelpreisträger Gao Xingjian seine als schwer zugänglich bezeichneten Romane hartnäckig verteidigt.
In China sind seine Werke weiterhin nur hinter vorgehaltener Hand oder über das Internet zugänglich. Gao Xingjian ist in China immer noch eine persona non grata. Daran hat auch die Verleihung des Nobelpreises im Jahr 2000 nichts geändert. Gao wurde von der Stockholmer Akademie, in der sein schwedischer Übersetzer Göran Malmqvist heftig (und nicht ganz uneigennützig) für ihn geworben haben soll, für ein Werk "von universaler Gültigkeit, bitterer Einsicht und sprachlichem Sinnreichtum" ausgezeichnet. Im deutschen Sprachraum war er damals ein völlig unbeschriebenes Blatt; es lagen nur wenige Exemplare seiner übersetzten Werke in einem Bochumer Kleinverlag vor.
Seit fast 30 Jahren in Frankreich
Gaos Lebensweg ist von politischer Verfolgung und schwierigen Exiljahren gekennzeichnet. Seit fast dreißig Jahren lebt er bereits in Frankreich. Die Sprache hatte er schon in jungen Jahren in seiner Heimat gelernt, 1962 sein Französisch-Examen bestanden, und der Einfluss der europäischen Literatur auf sein künstlerisches Werk ist signifikant. Ionesco, Beckett und Artaud standen bei seinen Theaterarbeiten Pate, und in seinen Erzählwerken schwingt latent immer auch der Geist von Franz Kafka durch die Zeilen.
"Ich bleibe immer ich selbst. Ob ich Chinesisch schreibe oder, wie neuerdings, Französisch, macht keinen Unterschied. Ein Schriftsteller schreibt, was er will", unterstrich Gao in einem Interview mit der "Zeit" seinen individuellen Gestus.
Gao Xingjian, der heute* vor 75 Jahren in Ganzhou in der ostchinesischen Provinz Jiangxi als Sohn eines Bankangestellten geboren wurde, kam schon als Kind durch seine Mutter (eine Schauspielerin) mit dem europäischen Theater in Berührung. Nachdem er als junger Student Theaterstücke geschrieben und mit Kommilitonen Stücke von Tschechow und Molière aufgeführt hatte, wurde er zur "Umerziehung" aufs Land geschickt. Anfang der 80er Jahre geriet er in den staatlichen Fokus der kommunistischen Zensoren. Der Grund: Er hatte einen Essay über den modernen europäischen Roman veröffentlicht. Zwei Jahre später wurde sein vom absurden Theater geprägtes Stück "Busstation" als "geistige Verschmutzung" gebrandmarkt und die Aufführungen verboten. 1986 ging er für sechs Monate als Stipendiat nach Berlin, ließ sich anschließend in Frankreich nieder, und 1998 wurde er französischer Staatsbürger.
Roman aus 81 Kapiteln
Gao Xingjian vollendete Anfang der 1990er Jahre seinen zehn Jahre zuvor begonnenen Roman "Der Berg der Seele", ein aus 81 Kapiteln bestehendes Erzählwerk, das - als Reiseroman getarnt - eine beeindruckende ethnografische Studie und zudem eine Reise durch die chinesische Historie präsentiert.
Viele Jahre hielt sich Gao finanziell mit seinen international angesehenen Tuschezeichnungen über Wasser, die in der Vergangenheit in Einzelausstellungen schon in Berlin und Baden-Baden zu sehen waren. Von der Nobelpreissumme kaufte sich Gao eine 5-Zimmer-Wohnung in der Pariser Rue Saint-Anne - unweit des Louvre und des Place de la Concorde. Den gigantischen Medienrummel um die überraschende, wichtigste Auszeichnung der literarischen Welt hat Gao Xingjian nicht unbeschadet überstanden. Nach zwei schweren Herzoperationen hat sich der Johann-Sebastian-Bach-Liebhaber weitestgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Er sah sich selbst nur noch wie ein „Dekorationsstück auf der Bühne der Politik“.
Heute liegen alle wichtigen Werke in deutscher Übersetzung bei S. Fischer vor - zuletzt sind die Erzählungen "Die Angel meines Großvaters" (2008) erschienen.
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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