Gregor Sanders Roman „Alles richtig gemacht“
Das Vergehen der Zeit
"Es interessiert mich beim Erzählen: das Vergehen von Zeit. Und was es mit Menschen macht“, bekundete der 51-jährige Schriftsteller Gregor Sander kürzlich in einem Interview über seinen nun erschienenen dritten Roman. Nach einer Schlosserlehre hatte er zunächst in Rostock Medizin studiert und war dann (wie seine Protagonisten) nach Berlin gezogen und zur Germanistik und Philosophie gewechselt.
Sander erzählt über einen Zeitraum von rund einem Vierteljahrhundert die Lebensläufe zweier Schulfreunde, die einst gemeinsam von Rostock nach Berlin gegangen waren und sich dann über viele Jahre aus den Augen verloren hatten.
Daniel Rehmer war stets ein zurückhaltender Typ, Sohn einer alleinerziehenden, höchst attraktiven Mutter. Seine Biografie verläuft in Wellenlinien, es ging stets auf und ab: zunächst eine Kochlehre, dann gemeinsam mit Daniel Betreiber einer Bar in Berlin, Auslandsaufenthalte und schließlich der Einstieg in fragwürdige Geschäfte auf dem Kunstmarkt.
Auslöser für die Übersiedlung der beiden Freunde von Rostock nach Berlin war der Brandanschlag auf die Asylbewerberunterkunft im August 1992 im Stadtteil Lichtenhagen, wenig später war Daniel von einer Horde Skinheads auf der Straße zusammengeschlagen worden.
Sein Freund Thomas Piepenburg stammt aus einer Drogistenfamilie, in der heimlich Uwe Johnson und Walter Kempowski gelesen wurden. Er ist (im Gegensatz zu Daniel) ein aufgeschlossener, redseliger Zeitgenosse. Er studiert Jura, promoviert, lässt sich als Anwalt in Berlin nieder und kauft das Gebäude der libyschen Botschaft in Ost-Berlin. Seine Frau Stephanie, mit der er Zwillingstöchter hat, betreibt eine Galerie – ein (auf den ersten Blick) sorgenfreies Leben in den Upper Tens.
Gregor Sanders Roman über die rasanten Veränderungen in der deutschen Nachwende-Gesellschaft ist rasant erzählt und frei von jeglicher Ostalgie. Er versteht es großartig, tragische und komische Momente miteinander zu verknüpfen. So entsteht ein authentisch anmutendes historisches Mosaik aus vielen kleinen, gut beobachteten und präzise beschriebenen „Steinchen“.
Irgendwann ist Thomas allein, Frau und Töchter haben ihn verlassen. Er trinkt zu viel und hat überdies handfeste Probleme mit einem Klienten. Ein millionenschwerer Investor hat ihn beauftragt, Mieter aus ihren Altbauwohnungen heraus zu klagen. Er steht beruflich und privat vor einem Scherbenhaufen, als plötzlich sein alter Freund Daniel wieder auftaucht – auch mit einem Rucksack voller Probleme auf den Schultern.
Der Titel ist pure Ironie, denn im Roman gibt es eigentlich nur Verlierer. Beinahe en passant erfahren wir auch noch, dass sich Thomas' Vater nach der Wende das Leben genommen hat, weil seine Drogerie vor der Pleite stand.
Hier hat jemand ganz intensiv am Puls der Zeitgeschichte gelauscht und einen singulären, plaudernd-süffigen Erzählton gefunden. Gregor Sanders Roman zeichnet ein Bild des radikalen Wandels – die Städte, das Gesellschaftssystem und auch die Figuren: alles befindet sich im Fluss. Eine Art literarisches Geschichtsbuch, dem man vor allem viele junge Leser wünscht.
Gregor Sander: Alles richtig gemacht. Roman. Penguin Verlag, München 2019, 240 Seiten, 20 Euro.
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.