Andreas Maiers Roman „Die Heimat“
Das schwarze Loch
Der 55-jährige Schriftsteller Andreas Maier hat den nächsten literarischen Mosaikstein seines monumentalen autofiktionalen Erzählprojekts fertig gestellt. Kindheit, Jugend und Pubertät im Landstrich zwischen Gießen und Frankfurt standen in den Vorgängerwerken im Mittelpunkt. Dann hat Maier im unmittelbaren Vorgängerwerk „Die Städte“ den Radius etwas größer gezogen und über die Studienjahre in Frankfurt erzählt.
Nun folgt unter dem Titel „Die Heimat“ also Band neun des auf insgesamt elf Bände angelegten opulenten Opus' „Ortsumgehung“, das vor 13 Jahren begann und sich in literarischer Detailarbeit nicht nur dem Leben des Ich-Erzählers widmet, sondern auch minutiös die Veränderungen in der Wetterau (eine hessische Landschaft um Bad Nauheim und Friedberg) nachzeichnet.
Beim Romantitel „Die Heimat“ denkt man - und das aus gutem Grund – sofort an Edgar Reitz und seinen 1982 begonnenen TV-Mehrteiler, dessen Handlung im Hunsrück angesiedelt war. Hier wie dort geht es um Veränderungen im Landstrich. Kein Wunder, dass Andreas Maier diesen Roman dem inzwischen 90-jährigen Regisseur und Autor Edgar Reitz gewidmet hat.
Es ist eine Art Haßliebe, die der in Bad Nauheim geborene und derzeit in Frankfurt lebende Andreas Maier mit seiner Heimat verbindet. Die Wetterau ist eine Art Gegenentwurf zum Großstadtleben - langsamer, geradezu behäbig schlägt hier der Puls der Zeit. Die Menschen sind skeptisch gegenüber allem Neuen, gegenüber Fremden und allen störenden Einflüssen auf ihren gewohnten Alltag im Mikro-Kosmos. Autor Andreas Maier lässt seinen Ich-Erzähler aus der Enge der Provinz auf das große Leben schauen – dort hin, wo das Rad der Geschichte gedreht wird. Frankfurt ist schon beinahe „Ausland“, das hektische, urbane Leben dort kommt einem „Kulturschock“ gleich.
Man schwelgt hier gern in Erinnerungen, aus denen man sich eine eigene Welt bastelt. Das künstlerisch verfremdete Coverfoto mit Elvis Presley (er wohnte während seiner Zeit in der US-Army nur einen Steinwurf von Maiers Elternhaus entfernt) soll verdeutlichen, dass auch hier schon der Wind der großen weiten Welt wehte.
„Ortsumgehung“, der Titel von Maiers künstlerischem Groß-Projekt, steht einerseits für die ständige Umrundung der Heimat aus verschiedenen Blickwinkeln, aber andererseits auch für die totale Automobilisierung unseres Lebens, die sich im Bau einer die Landschaft zerschneidenden Umgehungsstraße manifestiert.
Maier vermengt beinahe übergangslos erzählerische und essayistische Passagen, die um Heimat und Erinnerung kreisen und weit über die Wetterau hinausreichen. Er verklärt und verkitscht nicht, für Maier ist die Auseinandersetzung mit Heimat und der familiären Herkunft ein schmerzhafter Prozess: „Heimat ist ein schwarzes Kapitel, immer und überall, ein schwarzes Loch.“ Schreibend versucht Andreas Maier die bleierne Schwärze zu verdrängen und so der Wetterau ein wenig Licht zu spenden.
Andreas Maier: Die Heimat. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023, 245 Seiten, 22 Euro
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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