Hans Joachim Schädlichs Erzählung „Die Villa“
Das eisige Schweigen

„Das zweiflügelige hohe Parktor. Schmiedeeisern, alle Stäbe mit Zierspitze, Typ Lanze. Halbhohe Zwischenstäbe. Der Parkzaun zu beiden Seiten des Tores in gleicher Art.“ Die Rede ist von einer Jugendstilvilla im vogtländischen Reichenbach, die in Hans Joachim Schädlichs neuem, ohne Genrebezeichnung erschienenen Erzähltext „Die Villa“ mehr als nur ein Handlungsschauplatz ist.

In dem prunkvollen Anwesen spiegelt sich die deutsche Geschichte zwischen 1935 und 2007 und Aufstieg und Fall der Kaufmannsfamilie Kramer, die ein klein wenig an die Buddenbrooks erinnert. Hans Kramer ist ein kleinbürgerlicher Aufsteiger, gelernter Drogist, der es mit Glück und politischem Kalkül (NSDAP-Ortsgruppenleiter) als Wollhändler nach „oben“, in jene Villa gebracht hat, in der er mit seiner Frau Elisabeth, den Kindern Kurt, Georg, Paul und Thea sowie einigen Bediensteten lebt.
Autor Hans Joachim Schädlich, der selbst aus Reichenbach stammt und im Oktober seinen 85. Geburtstag feiert, hat lange als Sprachwissenschaftler für die Ost-Berliner Akademie gearbeitet, ehe er 1977 aus der DDR in den Westen übersiedelte. Seine Romane wurden zumeist von der Kritik hoch gelobt, eine große Leserschaft fand Schädlich indes nicht. Den Durchbruch im Westen schaffte er mit „Tallhover“ (1986). Mit der Figur des untertänig-einfältigen politischen Polizisten Ludwig Tallhover hat Schädlich damals auf alternierenden Zeitebenen auch die Bespitzelungsmechanismen totalitärer Systeme demaskiert. Ein Sujet, das sich wie ein roter Faden durch das Werk des immer noch unterschätzten Sprachkünstlers und Ironikers Hans Joachim Schädlich zieht, der es wie kaum ein Zweiter schafft, durch radikale sprachliche Reduktion, komplexe, anspielungsreiche Gedankengebäude auf engstem Raum unterzubringen. So auch im neuen Text „Die Villa“, über dessen autobiografischen Gehalt man nur mutmaßen kann.
Nach und nach machen sich die Nachrichten über die abscheulichen Verbrechen der Nationalsozialisten auch in der vogtländischen Kleinstadt breit – ein jüdischer Lehrer verschwindet, vom Einmarsch in Polen ist die Rede. Doch zwischen den Eheleuten Kramer herrscht eisiges Schweigen. „Auf dem jüdischen Friedhof sind die Grabsteine umgeschmissen und vollgeschmiert worden, sagt Alfred. Das ist nicht recht", klagt Elisabeth gegenüber Hans. Seine Antwort: "Sei bitte still." Mit dem Innenleben seiner Figuren, mit den Gedanken, mit den Ängsten, die sie durchleben, lässt uns Schädlich wieder einmal (und dies ganz bewusst) allein.
Es dauert einige Zeit, ehe bei Hans Kramer ein Umdenken statt findet: „Jetzt müssen wir Angst haben“, bekundet er, als die deutschen Truppen in Russland einmarschieren. Eine Veränderung in der Figur, die man seitenlang hätten auswalzen können - mit der detaillierten Beschreibung aller Zwiespälte, die durchlebt wurden. Und Schädlich verknappt es auf einen einzigen lapidar klingenden Satz – eben „Jetzt müssen wir Angst haben.“
Hans erfährt von einer entfernten Verwandten über die Verbrechen in Buchenwald, aber nur vage Andeutungen gibt er an Elisabeth weiter. Zwei, drei karge, schmucklose Sätze transportieren hier „Botschaften“, die Lebensentwürfe und Weltbilder zum Einstürzen bringen. Inhaltsreiche Leerstellen machen wieder einmal den Reiz dieses Textes aus.
Doch der Autor hält diesmal seine formale Strenge nicht über die volle Erzählstrecke durch. Kurz bevor Hans Kramer 1943 (gerade einmal 36 Jahre alt) einem Herzleiden erliegt, sagt er: "Ich habe meine besten Jahre Verbrechern geopfert." Dieser Satz will so gar nicht zum Schädlich-Duktus passen, weil er so apodiktisch, wie in Stein gemeißelt, daher kommt und uns quasi keine gedanklichen Freiräume mehr lässt. Und auch das Ende der „Villa“ kann nicht vollends überzeugen. Als alte Frau hat Elisabeth Kramer nach der Wiedervereinigung das inzwischen zum Pflegeheim umfunktionierte Haus noch einmal gesehen, das im Laufe der Jahre wechselnde Bewohner hatte und ab 2003 (bis zum Abriss 2008) von einer Fabrik genutzt wurde, die sich auf die Herstellung von Aktenvernichtungsmaschinen spezialisiert hatte.
Nein, das ist nicht das Schädlich-Niveau, das wir über Jahrzehnte schätzen- und liebengelernt haben. Das ist im Epilog dieses so klug und kunstvoll konstruierten Buchs dann doch Holzhammer-Symbolik, die so gar nicht zur vorangegangenen Handlung und zu diesem verdienstvollen Autor passt.

Hans Joachim Schädlich: Die Villa. Rowohlt Verlag, Hamburg 2020, 189 Seiten, 20 Euro.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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