BUCHTIPP: Keine Abrechnung mit Gott

José Saramago: Kain. Roman. Aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2011, 175 Seiten, 19,99 Euro

„Er versucht in Gleichnissen, eine fliehende Wirklichkeit sichtbar zu machen“, hieß es in der Begründung des Stockholmer Nobelpreiskomitees, als 1998 dem Portugiesen José Saramago die wichtigste Auszeichnung der literarischen Welt verliehen wurde. Doch mit seinen bisweilen sehr gewagten Allegorien hat sich der 2010 im Alter von 87 Jahren auf Lanzarote verstorbene Schriftsteller keineswegs nur Freunde gemacht.
Als 2009 sein letzter, soeben in deutscher Übersetzung erschienener Roman „Kain“ im Original erschienen war, löste er in Portugal eine heftige Protestwelle aus, die darin gipfelte, dass der sozialdemokratische Europaabgeordnete Mario David Saramago aufforderte, die portugiesische Staatsbürgerschaft zurückzugeben. Stein des Anstoßes: Der bekennende Atheist Saramago hatte die Geschichte des Alten Testaments neu erzählt und war daraufhin öffentlich als „Ketzer“ stigmatisiert worden.
Kain, Lilith, Isaak und Abraham, Noah, Moses und Hiob - sie alle lässt Saramago in seinem Roman auftreten, losgelöst von Raum und Zeit. „Mit dieser Religion komme ich nicht zurecht“, hatte Saramago erklärt und in einem Interview mit der spanischen Zeitung „La Vanguardia“ weitergehend ausgeführt, dass der Roman „keine Abrechnung mit Gott, sondern eine endgültige Abrechnung mit den Menschen, die ihn erfunden haben“ sei.
All der aufgestauten Bitternis des Alters lässt Saramago in seinem letzten Roman freien Lauf. „Ich habe Abel getötet, weil ich dich nicht töten konnte, doch meiner Ansicht nach bist du tot“, lässt er seinen Kain voller Wut zum Schöpfer sagen.
Das war nicht mehr der Saramago, der uns mit seinen wiederkehrenden Wechselspielen zwischen Poesie, modernen Mythen und knallharten Realismus so großartige Romane wie „Das steinerne Floß“ (1986) oder „Die Stadt der Blinden“ (1995) beschert hatte. Auch bei einem fraglos verdienstvollen Schriftsteller wie Saramago ist blinde Wut eine untaugliche künstlerische Antriebsfeder. „Die Geschichte ist zu Ende, mehr gibt es nicht zu erzählen“, lautet der letzte Satz des umstrittenen Romans „Kain“. Leider auch das wenig befriedigende Ende einer großen Schriftstellerkarriere.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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