Buchtipp der Woche: Wozu die Reise?

Der Schweizer Schriftsteller Christian Haller hat sich zu seinem 70. Geburtstag im Februar selbst beschenkt – mit seinem umfangreichen Roman „Der seltsame Fremde“. Bekannt geworden ist der studierte Biologe und einstige Theaterdramaturg Haller mit seiner „Trilogie des Erinnerns“.

Im Mittelpunkt des neuen Romans steht der Fotograf Clemens Lang, der eine seltsame Wandlung durchlebt. Zum Handlungseinstieg sitzt er in totaler Abgeschiedenheit in einem kleinen Ort am Rhein. „Ich wohne direkt am Rhein, der Fluss ist für mich eine wichtige Inspirationsquelle“, hatte Haller kürzlich in einem Interview eingeräumt.
Die Einladung zu einem internationalen Fotografenkongress leitet dann für die Hauptfigur eine gravierende Zäsur ein. „Was immer auch geschehen war und noch geschehen wird, es hat seine Richtigkeit“, heißt es im Roman.
Die Turbulenzen beginnen bereits bei Langs Abreise, als sich ein seltsamer Fremder in der Abflughalle zu ihm gesellt. Ein Reisebegleiter, der sich fortan wie ein Schatten an die Fersen heftet und den Part eines spukenden Faust übernimmt. Lang nennt seinen neuen Partner, der wie eine Reinkarnation des österreichischen Philosophen Egon Friedell daherkommt, liebevoll „Causeur“ und lässt sich von ihm auch in die philosophischen Geheimnisse seines „Buches der Halbwahrheiten“ einweihen.
Autor Christian Haller, der in der Vergangenheit als großer Erinnerungskünstler auf sich aufmerksam gemacht hat, mutet den Lesern diesmal eine äußerst strapaziöse Assoziations-Tour zu. Nicht nur durch den Romantitel wird auf Mark Twain („The Mysterious Stranger“) angespielt, es gibt immer wieder geistes- und kulturgeschichtliche Querverweise, epische Schlenker und gedankliche Pirouetten.
Ein wenig Spuk, eine Prise Metaphysik, jede Menge Faust, einen nebulösen Reisebericht und eine gewaltige theoretische Abhandlung über die Fotografie – das alles hat Christian Haller mit Brachialgewalt erzählerisch unter einen Hut zu bringen versucht.
Durch den Experten-Kongress werden wir mit der „Künstlichkeit unter vermeintlicher Natürlichkeit“, mit dem „Ungesehenen hinter dem Immergeschauten“, mit der Existenz eines „Befreiungsfotografen“ und der Beziehung zwischen Quantenphysik und Digitalfotografie konfrontiert. Da blitzen zwar immer wieder herrliche Apercus auf, doch die Theorielastigkeit dieses Romans wirkt etwas ermüdend.
Abseits der abstrakten Ebene hält Haller dann noch einige Überraschungen bereit. Sein Protagonist erleidet einen Kollaps und muss zur Behandlung in eine Klinik. Später erfährt Lang sogar, dass er Opfer einer Verwechslung geworden ist, dass nicht ihm, sondern einem Kollegen mit ähnlichem Namen die Einladung zum Kongress galt.
Christian Hallers zyklische Handlung führt den Fotografen zurück an den Rhein zu seiner Freundin Sarah, die ihm die Dante-Lektüre ans Herz legt. „Wozu die Reise?“ Diese Frage hat sich Lang irgendwann gestellt. Eine plausible Antwort zu finden, obliegt der Fantasie jedes einzelnen Lesers.

Christian Haller: Der seltsame Fremde. Luchterhand Verlag, München 2013, 376 Seiten, 18,99 Euro

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Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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