BUCHTIPP DER WOCHE: Wenn der Vater mit dem Sohn
Patrick Findeis nimmt in seinem zweiten Roman den thematischen Faden aus seinem 2008 erschienenen und mit dem 3-SAT-Literaturpreis ausgezeichneten Erstling „Kein schöner Land“ wieder auf. Wieder spielt das Gros der Handlung in der schwäbischen Provinz, in den fiktiven Ortschaften Rottensol und Gefrieß, die Findeis’ Heimat nachempfunden sind, und erneut prägen vom Alltag deformierte Figuren die Handlung.
Der 37-jährige, heute in Berlin lebende Patrick Findeis hat ein erzählerisches Vater-Sohn-Drama vorgelegt, das weit über die auch in der Literatur hinlänglich thematisierten Generationenkonflikte hinausragt. Der Vater Joseph Dix hat sein Leben lang in einer Gießerei hart geschuftet und nebenbei seinen Sohn Siggi allein großgezogen, weil seine Frau Anna bei dessen Geburt (unter nicht ganz geklärten Umständen) gestorben ist. Der Sohn und das kleine Häuschen – das war Josefs Welt, als wir ihm als gebrochenen Mann in der Erzählgegenwart begegnen. Im Rentenalter trägt er Zeitungen aus, arbeitet als Gärtner bei einem kinderlosen Ehepaar, um irgendwie finanziell über die Runden zu kommen.
Er ermöglichte einst seinem Sohn zunächst ein Studium in München, das dieser über Gebühr in die Länge gezogen hat, dann griff er ihm auch noch finanziell unter die Arme, als er ein Unternehmen für Handy-Klingeltöne gründete. Nicht mehr als eine fixe Idee von Siggi, die aber für seinen Vater den finanziellen Ruin bedeutet, da er sein geliebtes Haus verpfändet hat.
Irgendwann setzt sich der Sohn mit seiner Freundin Maria nach Übersee ab, und der alte Joseph Dix bleibt als paradigmatischer Verlierer allein auf weiter Flur zurück.
Alles verloren
Seine Frau Anna hat er vor rund drei Jahrzehnten bei Siggis Geburt verloren, danach quälten ihn Selbstvorwürfe, weil er bei der plötzlichen Niederkunft nicht zugegen war; der Sohn hat sich wortlos aus dem Staub gemacht; und dem Haus droht der Zwangsverkauf. Der alte Mann steht vor einem Scherbenhaufen. „Der Joseph hält den Sohn zu fest. Der Siggi macht was anderes falsch. Und das ist deren Hauptproblem, dass sie aus den richtigen Beweggründen fast ständig die falschen Schlüsse ziehen oder die falschen Taten begehen. Und das steht ihnen immer im Weg“, heißt es im nüchternen, für Findeis charakteristischen Tonfall.
Der Autor erzählt auf alternierenden Zeitebenen, springt immer wieder zurück in die Jugend des Vaters und lässt dessen einstige Freunde Frank Grams und Karl Klobedanz (geheimnisvoll) im Handlungskontext um den plötzlichen Tod seiner Frau Anna auftauchen. Findeis’ zweiter Roman ist ein Erzählwerk, in dem das (Ver)-Schweigen eine ganz zentrale Rolle einnimmt. Die Figuren reden erschreckend wenig miteinander, und allenthalben existiert eine tragische Gefühlsmelange aus Enttäuschung, verletzten Gefühlen und emotionaler Kälte.
Das Ende hält Patrick Findeis bewusst in der Schwebe. Siggi ließ seine schwangere Freundin in den USA sitzen, kehrte (aus welchen Gründen auch immer!) in die Heimat zurück, fand ein Verkaufsschild im Fenster des Elternhauses, und der Vater war verschwunden.
In „Wo wir uns finden“ ist kein Platz für honigsüße Gefühlsduselei. Patrick Findeis bevorzugt einen knallharten, bisweilen schockierenden Realismus: die adäquate Form um dem freudlosen, von selbstquälerischen Schuldgefühlen geprägten Leben des Joseph Dix gerecht zu werden.
Patrick Findeis: Wo wir uns finden. Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2012, 200 Seiten, 18,99 Euro
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Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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