BUCHTIPP DER WOCHE: Rabenmutter wie ein Kanten Holz
Julia Franck: Rücken an Rücken. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2011, 384 Seiten, 19,95 Euro
Sie gehört zur Generation „Fräuleinwunder“, ihr Name wurde vor rund zehn Jahren in einem Atemzug mit Judith Hermann und Zoe Jenny genannt. Während viele literarische Sternchen aus dieser Zeit längst vom Bücherhimmel wieder verschwunden sind, hat sich Julia Franck - abseits des Mainstreams und irgendwelcher kurzlebiger Trends - als seriöse, geschichtsbewusste Romanautorin etabliert.
Für ihren später in mehr als 30 Sprachen übersetzten Roman „Die Mittagsfrau“ war sie 2007 mit dem Deutschen Bücherpreis ausgezeichnet worden. Nun hat die 41-jährige, gebürtige Ost-Berlinerin ihren fünften Roman vorgelegt, in dem sie abermals ihre eigene Familiengeschichte abarbeitet.
Hinter der Figur der Protagonistin Käthe, einer erfolgreichen DDR-Bildhauerin der 50er Jahre, darf man Ingeborg Hunzinger vermuten - Julia Francks linientreue Großmutter. Diese Frau ist hart „wie ein Kanten Holz“, bis zur Borniertheit politisch verblendet und erweist sich mit Fortdauer des Romans als gefühlslose Rabenmutter, als wahrer Haustyrann.
Die Leidtragenden sind ihre beiden Kinder Ella und Thomas, die zu Romanbeginn zehn und elf Jahre alt sind und die von ihr um jeden Preis zu systemkonformen DDR-Bürgern erzogen werden sollen. Käthe lässt ihre Kinder oft tagelang allein, und wenn sie heimkehrt, nimmt sie keinerlei Notiz von ihnen, bemerkt nicht, dass sie ihr alles recht machen wollten, dass sie geputzt und gekocht haben. Emotionale Nähe gewährt sie lediglich ihrem Hund.
Und als die Kinder - stark an Hänsel und Gretel erinnernd - ausreißen, tagelang durch den winterlichen Wald am Müggelsee streunen, dort Rücken an Rücken sitzen, in einer Märchenwelt versinken oder sich den im Krieg verstorbenen Vater herbeiträumen, bemerkt Käthe deren Abwesenheit zunächst gar nicht. Doch damit längst noch nicht der Qualen genug. Ella wird zunächst von Käthes neuem Lebenspartner Eduard, ein von den Nazis beinahe zu Tode gequälter Kommunist, und später von einem zur Untermiete eingezogenen Stasi-Mitarbeiter missbraucht.
Das Mitleidspotenzial des Lesers wird hier von Julia Franck auf eine harte Probe gestellt. Aber was steckt dahinter, wenn uns die Autorin auf ziemlich plakative Weise politische Extremisten als Täter für sexuellen Missbrauch, körperliche Peinigungen und menschenverachtende Demütigungen präsentiert? So wird später auch noch Thomas ganz übel drangsaliert, als er in einem Steinbruch das Arbeiterdasein kennenlernen muss, um sich für das spätere Medizinstudium zu bewähren. „Deine Partei ist ein Knast“, schimpft er in Richtung seiner parteikonformen Mutter.
Als seine ältere Schwester ihm irgendwann den fortgesetzten Missbrauch beichtet, fühlt sich Thomas in seiner Rolle als „Mann“ mitschuldig und die Entwicklung der Geschwister verläuft in unterschiedliche Richtungen. Während sich die geschundene Ella wie in ein Schneckenhaus zurückzieht und Trost im Alkohol sucht, will Thomas alles hundertprozentig machen, entwickelt riesigen Ehrgeiz und ist von einem großen Ziel angetrieben: die DDR zu verlassen.
Er verliebt sich während eines Praktikums in die verheiratete Krankenschwester Marie, die (und da überzieht Julia Franck ihr Leidensmotiv) von ihrem Ehemann brutal missbraucht wird. Man ahnt es - angesichts der Häufungen von schweren Schicksalsschlägen -, dass es mit dem sensiblen, Gedichte schreibenden Thomas kein gutes Ende nehmen wird. Die in die Romanhandlung integrierten Verse hat Julia Franck wörtlich von ihrem Onkel Gottlieb übernommen, der sich 1962 im Alter von 18 Jahren das Leben genommen hat.
Ihr neuer Roman „Rücken an Rücken“ liest sich wie eine Hardcore-Version der „Mittagsfrau“ - noch mehr Tragik, noch größere Gefühlskälte, noch stärkerer Opportunismus und Egoismus und dazu noch das äußerst dramatische Ende. Das wirkt am Ende dann doch inhaltlich arg überfrachtet und geht ganz nah an die Schmerzgrenze der Leser heran.
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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