BUCHTIPP DER WOCHE: Messie und Messias

Jens Sparschuh: Im Kasten. Roman. Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2012, 224 Seiten, 18,99 Euro

„Jede Form des Ordnungmachens, des Aufräumens ist ein Dennoch, ein verzweifeltes Sichaufbäumen gegen die Naturgewalten. Nicht umsonst heißt es ‚Ordnung schaffen‘ und ‚Ordnung halten‘, sie ist kein natürlicher Zustand, sie setzt unser Eingreifen voraus. Und ist sie erst einmal errungen, muß sie immer wieder neu verteidigt werden.“ Das klingt erst einmal leicht irritierend, und doch verbirgt sich dahinter eine Art Lebensphilosophie des Ich-Erzählers Hannes Felix aus Jens Sparschuhs neuem Roman „Im Kasten“.

Schon 1995 hat sich der in Chemnitz geborene Autor in seinem Roman „Der Zimmerspringbrunnen“ als erzählender Satiriker präsentiert, als zeitgenössischer Hoffnungsträger des vom Aussterben bedrohten Genres des Schelmenromans. Aber diese Gattung erfordert bekanntlich ganz viel Fingerspitzengefühl, um die Balance zwischen Tiefsinn und Humor, zwischen Satire und Kalauer zu halten. Dies ist dem 57-jährigen, in Berlin lebenden Jens Sparschuh diesmal nicht vollends geglückt.
Sein Protagonist Hannes Felix, der geistige Bruder des gleichfalls besessenen Hinrich Lobek aus dem „Zimmerspringbrunnen“, arbeitet zunächst in einer Berliner Behörde, ist mit Aktensortieren beschäftigt und theoretisiert über das „Gesetz der größten Unordnung“.
Er sucht später eine neue Herausforderung, da er sich von seinen Kollegen im Amt missverstanden fühlt und sie seinen vermeintlich innovativen Gedanken zur Arbeitsoptimierung kein Gehör schenken. Die kauzige Hauptfigur steigt später in ein Unternehmen mit dem Namen NOAH ein. Hinter den Versalien verbergen sich „Neue Optimierte Auslagerungs- und Haushaltsordnungssysteme.“

Verfallsdatum für Witze

Eine Person mit diesem beinahe manischen Ordnungstick scheint dort gut aufgehoben zu sein, besteht doch das Unternehmensprinzip darin, von den Kunden nicht benötigte Gegenstände zwischenzulagern. Dahinter steckt selbstverständlich jede Menge Zeitgeistkritik des Autors, bitterböse Polemik gegen den Konsumüberfluss und „ferngesteuertes“ Kaufverhalten. Doch seine tiefgehenden Anspielungen vernebelt Jens Sparschuh durch einen faden Aufguss abgestandener Kalauer über das schwedische Möbelhaus mit den vier Großbuchstaben im Namen. Auch manche Witze haben ein Verfallsdatum und werden danach ungenießbar.
Dass der Sonderling Hannes Felix, der sich an den „Grundzügen einer Theorie über die Dinge und ihren Platz in der Welt“ abarbeitet, mehr und mehr zum Misanthropen wird und seine Frau Monika ihn verlässt, ist absolut plausibel. Schließlich hat er selbst Krümelspuren mit detektivischem Spürsinn verfolgt und ihr bei der Trennung den (vermutlich sogar gutgemeinten) Ratschlag gegeben, doch eine Inventarliste für die Koffer anzulegen.

Hannes Felix, diese eigenartige Mischung aus „Messie und Messias“, war einst in der Schule ein eher schwaches Licht und pflegte eine ausgeprägte Vorliebe fürs Mikado. Jens Sparschuhs Versuch, im letzten Drittel des Romans die Marotten seines Protagonisten aus Fehlentwicklungen in der Kindheit abzuleiten, wirkt dann aber letztlich arg an den Haaren herbeigezogen.
So liest sich „Im Kasten“ (immerhin in der Endausscheidung für den Preis der Leipziger Buchmesse) wie eine zwar unterhaltsame, aber doch ziemlich unausgegorene Mischung aus Kalauern, Satire und Bonmots. Ein Buch passend für das NOAH-System - eines, das man liest, weglegt und nie wieder vom Staub der Regale befreit.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

8 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.