BUCHTIPP DER WOCHE: Kleine Katastrophen

Peter Henning: Leichtes Beben. Ein Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2011, 329 Seiten, 19,99 Euro

Der Schriftsteller Peter Henning hat offensichtlich ein ausgeprägtes Faible für Allegorien mit Naturgewalten. Der 52-jährige, der seit rund 25 Jahren als Journalist, Kritiker, Herausgeber und Erzähler emsig in der Kulturszene tätig ist, ließ zuletzt 2009 in seinem Roman „Die Ängstlichen“ einen Orkan über seine Heimatstadt Hanau und die Familie Jansen hinwegtoben. Nun fungiert ein leichtes Erdbeben im Freiburger Umland als verbindende inhaltliche Klammer zwischen den 31 Kapiteln seines neuen Buches.

Wir haben es also eigentlich mit lose verknüpften Erzählungen zu tun, in denen der normale Alltag durch große oder kleine Erschütterungen aus dem Lot gerät. Da ist Küppers, der im Alkoholrausch vergisst, dass er seinem Sohn versprochen hatte, ihn im Kinderheim zu besuchen; da ist Bellmann, der sich um seinen schwer demenzkranken Vater kümmern muss; Springer, der vor laufender Fernsehkamera kollabiert, oder Maas, der mit seinem Auto einen Jungen überfährt und sich dann vom „Tatort“ entfernt.
Einige von Hennings Tragödien-Episoden kommen mit leicht komödiantischem Anstrich daher, die Grenzen zwischen Komik und Leid verschwimmen dabei. Als ein Pferd einen Zug zum unfreiwilligen Halt zwingt, erweisen sich die zur Bergung der Reisenden herbei gerufenen Feuerwehrleute als keine große Hilfe, da sie gerade von einem feucht-fröhlichen Volksfest kommen. Noch bizarrer ist die Situation für das Liebespaar, das im Auto überfallen und dann gezwungen wird, im Wald sein eigenes Grab auszuheben.
Peter Henning erzählt seine locker verwobenen Katastrophen-Mosaike in einer radikal verknappten Sprache. Raymond Carvers Prosa oder Robert Altmans berühmter Episoden-Film „Short Cuts“ grüßen als leuchtende Vorbilder. Und auch den Buchtitel „Leichtes Beben“ darf man durchaus als artige Verbeugung Hennings vor seinem großen Vorbild Jonathan Franzen und dessen Roman „Schweres Beben“ interpretieren.
Henning erweist sich als großartiger Beobachter, der es mit knappen Worten versteht, authentische Stimmungen zu erzeugen und atmosphärisch dichte Bilder zu entwerfen. Lediglich mit seinen Figuren hat er es nicht ganz so genau genommen. Sie ähneln einander in ihrem Leid und Unglück, in all ihren kleinen Erschütterungen so stark, dass sie beliebig austauschbar sind.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

8 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.