BUCH DER WOCHE: Vater gesucht, Schwester gefunden

Lisa-Maria Seydlitz: Sommertöchter. Roman. Dumont Verlag, Köln 2012, 208 Seiten, 18,99 Euro

„Ich gleiche das Haus, vor dem ich stehe, mit dem Polaroid aus dem Briefumschlag ab. Ein kleiner Schornstein, ein rotes Dach, ein Apfelbaum. Seegrüne Fensterläden, die auf dem Polaroid noch braun sind. Und neben der Tür wachsen links und rechts Lavendelsträucher, wie frisch gepflanzt, auch sie fehlen auf dem Polaroid.“

Ein anonymer Brief aus Frankreich, der ein Foto eines Fischerhauses enthielt, hat das Leben der jungen Juno schlagartig verändert, denn der Briefschreiber behauptet, dass die junge Frau ein Haus in der Bretagne geerbt haben soll. Ihre Mutter reagiert ausweichend auf alle Nachfragen, händigt ihr aber irgendwann dennoch den Hausschlüssel aus. Juno hat das Haus von ihrem Vater geerbt, der an Depressionen litt und Selbstmord begangen hatte, als seine Tochter zwölf Jahre alt war.
Autorin Lisa-Maria Seydlitz, die an der Universität Hildesheim bei Hanns-Josef Ortheil kreatives Schreiben und Kulturjournalismus studiert hat, erzählt in ihrem ersten Roman eine rückwärtsgewandte Familiengeschichte. Sie geht dabei nicht chronologisch, sondern assoziativ vor. Alles kreist um den Tod des Vaters, um das vage Gefühl eines Verlustes und die Rekonstruktion eigener Erinnerungen. Dies ist eigentlich ein bedeutungsschweres Sujet, aber trotzdem versprüht Seydlitz‘ Erstling eine unaufgeregte Leichtigkeit, eine authentische Lebensfreude, wie sie wohl nur jungen, gänzlich unbeschwerten Menschen eigen ist.

Drei Jahre am ersten Roman gearbeitet

Drei Jahre hat die wieder in ihrer Geburtsstadt Mannheim lebende, 27-jährige Diplom-Kulturwissenschaftlerin an ihrem Debütwerk gearbeitet und in einem Interview eingeräumt, dass sie sich nach der Fertigstellung „leer geschrieben“ fühlte.
Seydlitz schickt ihre Protagonistin auf eine schmerzvolle Reise in die Bretagne. Sie erinnert sich, dass sie als Kind schon einmal dort gewesen ist, doch die aufkommenden Eindrücke wollen sich nicht zu einem stimmigen Bild eines familiären Idylls fügen. „Ich schreibe gerne von schönen Dingen, die von einem Riss durchdrungen sind“, hatte die Autorin in einem Interview offen zugegeben.

Ein Riss im Leben

Und der erwähnte Riss geht nicht nur durch das geerbte Fischerhaus, sondern durch ihre gesamte Familie. Nach ihrer Ankunft im fiktiven bretonischen Örtchen Coulard muss sie feststellen, dass das Haus bewohnt ist - und zwar von Julie, der jungen Wirtin der „Bar du Matin“.
Am Ende hat sich Mosaik für Mosaik auch Junos familiäres Puzzle komplettiert. Sie hat Spuren ihres Vaters in Frankreich gesucht und mit Julie eine Halbschwester gefunden. „Ich warte darauf, dass Julie die Taste für den Selbstauslöser drückt. Sie stellt sich neben mich, ihr Arm an meinem.“

Federleicht erzählt

Das liest sich herzzerreißend schön, und es ist beeindruckend, mit welcher Nonchalance diese Autorin gewaltige Gefühle evozieren kann. Ein großes Thema federleicht behandelt - „Sommertöchter“ ist ein imponierendes Debütwerk. Den Namen Lisa-Maria Seydlitz sollten wir uns merken.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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