BUCH DER WOCHE: Suche nach der unbekannten Mutter

André Kubiczek: Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn. Roman. Piper Verlag, München 2012, 479 Seiten, 22,99 Euro

„Ich wusste ganz lange Zeit nicht, wie sich meine Eltern kennengelernt haben und wie meine Mutter dann von Moskau in die DDR gekommen ist und habe das dann, als ich beschlossen habe, das Buch zu schreiben, durch lange Gespräche mit meinem Vater erfahren und fand das irgendwie faszinierend“, erklärte der Autor André Kubiczek in einem Interview über die Entstehungsgeschichte seines fünften Romans.

Die Hauptfigur Kubi trägt zwar unübersehbare autobiografische Züge, dennoch haben wir es weder mit einer dokumentarischen Abarbeitung am eigenen Leben noch mit einem neuen Exemplar der „Abrechnungsliteratur“ zu tun. Der 43-jährige, in Potsdam geborene André Kubiczek spielt mit den Genres, changiert ziemlich salopp zwischen bissiger Satire, dichterischer Fiktion und biografischen Fakten. Der im leicht märchenhaft klingenden Titel erwähnte Genosse ist Kubis Vater, ein systemtreuer Wissenschaftler in der DDR; hinter der Prinzessin verbirgt sich Kubis Mutter, eine aus einer nicht unvermögenden Großfamilie stammende Laotin. Das Paar hat sich einst in Moskau kennen gelernt und ist dann über abenteuerliche Wege gemeinsam in die DDR gelangt.
André Kubiczek widmet der Mutter-Figur die größte Aufmerksamkeit. Die Asiatin umgab im sozialistischen Mief der 1970er Jahre eine geheimnisvoll-exotische Aura. Nicht nur durch ihr äußeres Erscheinungsbild hob sich die Frau aus dem DDR-Einheitsbrei ab. Sie schwärmte für Elvis und die Beatles, für Belmondo, Delon und für die französische Literatur. Der Krebs setzte dem Leben der Mutter ein frühes Ende, auch Kubis jüngerer Bruder starb, weil er nach einem Fahrradunfall falsch behandelt wurde.
So handelt Kubiczeks Roman beinahe zwangsläufig von biografischen Zäsuren, von Aufbrüchen, Abbrüchen und schmerzhaften Suchbewegungen. Den Höhepunkt dieses langen Selbsterkundungsprozesses des Protagonisten markiert die Reise nach Laos, zur Familie seiner Mutter. Kubi begegnet dem Verwandten-Clan bei einer beinahe rituellen Wiedersehensfeier, als seine Großmutter aus einer Klinik in Bangkok zurückkehrt - jene Frau, die einst Kubis Eltern mit Geld von einem Dollarkonto unterstützt hat.
Der 2007 mit dem Candide-Preis ausgezeichnete André Kubiczek erzählt auf alternierenden Zeitebenen und wechselt ebenso geschwind zwischen den Handlungsorten. Von Laos, über Paris, wo Kubis Kurzurlaub mit der Freundin desaströs endet, springen wir ins Nachwende-Berlin der frühen 1990er Jahre. Dort begegnen wir einer Figur namens Kupfer - ein Kubi-Freund aus gemeinsamen NVA-Zeiten. Er ist eher skrupellos als intelligent, hat schnell das kapitalistische Einmal-Eins verinnerlicht und fungiert als eine Art abschreckendes Beispiel der Spezies abgezockter, ausschließlich profitorientierter Geschäftsmann. An diesen Stellen mit den leicht ausufernden Anekdoten hätte man sich hier und da den streichenden Rotstift des Lektorats gewünscht.
Es sticht ins Auge, dass der Tonfall, die sprachliche Melodie und auch die Qualität häufig wechselt. In einigen Episoden ist eine starke Affinität zum Reißerischen zu konstatieren. Bei der Beschreibung der Armeezeit und prunkvoller sozialistischer Paraden tappt Kubiczek hin und wieder ins verbale Fettnäpfchen des Kalauers. Es klingt arg abgestanden, wenn er einen militärischen Aufmarsch als „eine peinliche Abfolge von Karnevalswagen an der Tribüne der Politbürogreise“ bezeichnet.
Extrem kühl und distanziert, beinahe emotionslos lesen sich die Sequenzen über die Liebesgeschichte der Eltern und deren mit Misstrauen beäugter Anfang in der DDR.
Zur erzählerischen Höchstform läuft Kubiczek in den Passagen über die Laos-Reise auf, über die Begegnung mit der fremden Familie, mit deren Lebensumfeld und der laotischen Kultur. Da entspringt aus der Neugierde des Fremden eine ganz intensive Nähe des Beobachters. Durch das Aufeinanderprallen von zwei höchst unterschiedlichen Kulturkreisen evoziert Kubiczek eine faszinierende Atmosphäre, eine kaum greifbare Stimmung - irgendwo zwischen kindlicher Neugierde und exotischer Folklore angesiedelt. Hauptfigur Kubi hat nach knapp 500 Seiten auf jeden Fall eine Menge über sich, seine Mutter und seine biografischen Wurzeln gelernt.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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