Buch der Woche: Javier und Maria
Javier Marías: Die sterblich Verliebten. Roman. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2012, 430 Seiten, 19,99 Euro
„Wie leid es mir tut, wie ich mich freue, so ein furchtbares Geschick, dass Miguel gerade in dem Moment dort sein musste, als diesen Menschen die Mordlust überkam, es hätte jedem passieren können, sogar mir, und er hätte sonst wo sein können, weshalb hat es ausgerechnet ihn getroffen, so ein glückliches Geschick.“ Diese Passage drückt die totale Ambivalenz des neuen Romans des Spaniers Javier Marías aus.
Der 60-jährige Autor, der Mitte der 1990er Jahre nach dem Erscheinen seines Romans „Meinz Herz so weiß“ von Marcel Reich-Ranicki im „Literarischen Quartett“ für den deutschen Sprachraum entdeckt wurde, erweist sich wieder einmal als großer Fährtenleger und als exponierter Vertreter des Pensamiento literario (dt. literarisches Nachdenken), eine Art philosophisches Erzählen.
Zum ersten Mal erzählt Marías, dessen Bücher in über 40 Sprachen übersetzt worden sind und der in den letzten Jahren auch immer wieder als Kandidat für den Nobelpreis gehandelt wurde, aus der Perspektive einer Frau. Seine Ich-Erzählerin Maria ist eine alleinstehende Verlagsangestellte und lebt im vornehmen Madrider Vorort El Viso.
„Zu einer Tageszeit, zu der kaum jemand für etwas zu haben ist, redeten sie unentwegt, amüsierten und ermunterten sich, als hätten sie sich eben erst getroffen, ja kennengelernt.“ Jeden Morgen beobachtete Maria über einen großen Zeitraum hinweg in einem Madrider Café das frühstückende Pärchen Miguel und Luisa. Ein wenig Eifersucht mag da durchaus bei der leicht voyeuristischen Routine im Spiel gewesen sein. Irgendwann erfährt sie von Miguels tragischem Tod. An seinem Geburtstag ist er offensichtlich von einem Verrückten erstochen worden - ohne erkennbares Motiv.
Zurück bleibt die trauernde Witwe Luisa, die beobachtende Verlagsangestellte Maria und Javier, der beste Freund des toten Miguel. Wie unglücklich ist die alleinstehende Maria, die gedanklich das Leben des Toten zu rekonstruieren beginnt und sich überdies in die Gedanken der trauernden Frau hinein zu versetzen versucht? Oder steckt mehr dahinter?
Jedenfalls beginnt Maria eine Affäre mit Javier, bemerkt aber ziemlich rasch, dass dessen Herz offensichtlich nur für die Witwe Luisa schlägt.
Aus dieser hochexplosiven Mischung aus verirrten und verletzten Gefühlen braut sich einiges in Marias Kopf zusammen. Richtig turbulent wird es, als sie ein Gespräch Javiers belauscht, in dem es um Miguels Tod geht.
„Für mich ist das Verliebtsein ein Ergebnis von Zufällen, es ist eine Lotterie, manchmal auch nur eine Frage, wer gerade zu haben ist“, hat Javier Marías kürzlich in einem Interview erklärt. Und tatsächlich stellt er hier erzählerisch alles in Frage: jede Person, jedes Wort, jede Beobachtung, jede Beziehung. Es ist ein grandioses, emotionales Verwirrspiel, das der spanischer Romancier hier mit seinen Lesern betreibt. Man traut keiner Figur mehr über den Weg, die Zweifel wachsen von Seite zu Seite. Es ist eine ganz eigentümliche Spannung, die in diesem eigentlich handlungsarmen, primär reflektierenden Roman evoziert wird. Der leidenschaftliche Shakespeare-Liebhaber Marías versteht es meisterlich, seine aus den Vorgängerromanen bewährten Sujets zu variieren: Liebe, Tod, Eifersucht, Zweifel, Lüge. So hat er diesmal sein verzwicktes philosophisches Spiel der Möglichkeiten in den Krimirahmen um Miguels mysteriösen Tod gepresst. Wussten Luisa und Miguel doch nicht alles voneinander? Waren Sie gar nicht das Traumpaar, als das sie vor allem Maria wahrgenommen hat? Fragen über Fragen auch über die Rollen von Javier und Maria (welch ein klingendes Wortspiel des Autors), und am Ende wartet eine abrupte Wendung. Das ist große, geistreiche Prosa, dramatisch zugespitzt und emotional bewegend. Spannend und voller Tiefgang bis zur letzten Seite.
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Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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