BUCH DER WOCHE: Einmischer und Querdenker
Martin Walser: Über Rechtfertigung, eine Versuchung. Rowohlt Verlag, Reinbek 2012, 107 Seiten, 14,95 Euro
„Vor zwanzig Jahren hätte ich so ein Buch überhaupt nicht schreiben wollen und auch nicht schreiben können“, bekannte Martin Walser im letzten Jahr in einem Interview. Tatsächlich ragt sein letzter Roman „Muttersohn“ (2011) nicht nur wegen seiner Opulenz aus dem Walser-Oeuvre heraus. Es ist ein Roman, der von einer bis dahin kaum gekannten Altersmilde geprägt ist, durch und durch versöhnlich im Grundtenor und dabei ganz stark religiös-philosophisch untermalt. Heute (24. März) feiert der Schriftsteller vom Bodensee seinen 85. Geburtstag.
2008 hatte Walser mit seinem Goethe-Roman „Ein liebender Mann“ im Lager der Kritiker die unterschiedlichsten Echos ausgelöst. Es ist schon bewundernswert, mit welch einer Ausdauer und Energie Walser immer noch in beinahe regelmäßigen Intervallen und auf nicht absinkendem Niveau publiziert.
Dabei ist Martin Walser mehr als nur einer der wichtigsten deutschsprachigen Nachkriegsschriftsteller. Er hat stets auch mit großer Leidenschaft an öffentlichen Debatten teilgenommen. Daher scheiden sich die kritischen Geister nicht nur an seinen Romanen, sondern auch an seinen politischen Statements.
Martin Walser ist nie ein Schriftsteller des Elfenbeinturms gewesen, im Gegenteil: Er ist ein omnipräsenter „Einmischer“, mal Querdenker, mal die Stimme des „gesunden Volksempfindens“. So bekannte er in einem Interview, dass er nicht aufhören könne, zu fragen, wie die Attentate des 11. September 2001 zustande gekommen seien, und dass „unser aller Begriffe von gut und böse“ ins Wanken geraten sind. Mehr als vier Jahrzehnte widmete sich Walser den gescheiterten Existenzen des Mittelstandes, die mit ihrem „Schöpfer“ gealtert sind - durchaus vergleichbar mit John Updikes „Rabbit“-Romanen. Von den „Ehen in Philippsburg“ (1955) lässt sich eine verbindende Klammer bis hin zu „Finks Krieg“ (1996) setzen. Die Figuren ähneln einander (einige hat Walser nach mehrjährigen Pausen wiederbelebt – so z.B. Helmut Halm und Gottlieb Zürn) in ihrer Antriebslosigkeit, in ihrer Lethargie und ihrem Mittelmaß. Ihr Handeln ist aufs Reagieren reduziert; erst mit Stefan Fink hat Martin Walser einen aktiven, einen agierenden Protagonisten ins Leben gerufen.
Dabei hatte Martin Walser, der am 24. März 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren wurde, alles andere als gute Voraussetzungen, um eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen. Seine Eltern schlugen sich mehr schlecht als recht mit einer Gaststätte und einem Kohlenhandel durch. Nach dem Krieg, den er ab 1943 als Flakhelfer aktiv miterlebte (diese Erfahrungen flossen in den Roman „Ein springender Brunnen“ ein), musste er gleichzeitig seiner Mutter helfen (der Vater war bereits 1938 gestorben) und sich um seine Ausbildung sorgen. Dennoch schloss er gerade 24-jährig sein Studium mit einer Promotion über Franz Kafka ab. Mit Gedanken über Kafka leitet Walser auch seinen pünktlich zu seinem 85. Geburtstag erschienenen philosophisch-literarischen Essay „Über Rechtfertigung, eine Versuchung“ ein.
Viele Romananfänge Walsers zeigen auch die deutliche Affinität zum großen Prager Dichter und dessen Protagonisten Gregor Samsa aus der „Verwandlung“. Die Schlafenden haben es Walser angetan: „Als Franz Horn aufwachte“ (Jenseits der Liebe, 1976); „Xaver griff nach dem leisen, unerträglichen Weckergeräusch“ (Seelenarbeit, 1979); „Als Gottlieb Zürn aufwachte“ (Das Schwanenhaus, 1980).
Die zurückliegenden Geburtstage, so haben wir aus den Tagebüchern erfahren, waren für Walser häufig Anlass, zu melancholischen Grübeleien. Wünschen wir ihm zu seinem 85. Geburtstag ein ähnliches Glücksgefühl wie seiner Romanfigur Gottlieb Zürn im „Augenblick der Liebe“ (2004), als der betagte Herr auf seiner Terrasse am Bodensee von der jungen Beate Gutbrod mit einer riesigen Sonnenblume beschenkt wurde.
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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