Buch der Woche: Die ganze Welt ist eine Bühne

„Tatsächlich habe ich mir in der Klinik das seriöseste Leiden überhaupt zugezogen: Liebe.“ Hinter diesem Bekenntnis des Protagonisten Augustus Baum verbirgt sich eine tragische Konstellation. Der Starregisseur hat bei seiner Arbeit an einer Tschechow-Inszenierung einen Schlaganfall erlitten und verliebt sich später im Hospital in die blutjunge Nachtschwester Ute-Marie.

Bei Martin Walser muss man auf einiges gefasst sein, vor allem seit er das über Jahrzehnte eingefahrene literarische Gleis mit den unsäglich langweiligen Mittelstands-Protagonisten verlassen hat und sich sowohl künstlerisch als auch inhaltlich abseits vom Mainstream tummelt. Zuletzt gab es die beiden exzellenten Romane „Muttersohn“ (2011) und „Das dreizehnte Kapitel“ (2012) aus Walsers Feder und in diesem Frühjahr noch den hintersinnigen Aphorismenband „Meßmers Momente“. Kaum zu glauben, und sogar ein wenig bewundernswert ist es, mit welch einer Leidenschaft und schier unversiegbaren dichterischen Kreativität Martin Walser immer noch in regelmäßigen Intervallen und auf nicht absinkendem Niveau publiziert und uns dabei immer wieder zu überraschen versteht. Und das nach 60 Jahren Schriftstellerei in einem Alter von fast 87 Jahren. Nun präsentiert er uns einen Roman, der eigentlich als Kammerspiel daherkommt, ein Drei-Personen-Stück in zumeist direkter Rede gehalten und nur sporadisch von erläuternd-deskriptiven Sentenzen unterbrochen.

Inszenierungen sind ein Selbstgespräch
Im Mittelpunkt steht der Theaterregisseur Augustus Baum, der abrupt aus seiner „Möwe“-Inszenierung herausgerissen wurde und im Krankenhaus abwechselnd von der fürsorglichen Nachtschwester und seiner Ehefrau Gerda versorgt wird. Baum kommt als eitler, selbstverliebter Zeitgenosse daher, eine paradigmatische Künstlerseele, ein Mensch, der sich seiner Marotten bewusst ist und mit ihnen sogar ziemlich offen kokettiert: „Meine Inszenierungen sind ein Selbstgespräch. Ein Regisseur ist auch ein Schauspieler, sonst ist er kein Regisseur.“
Die wie ein Blitz eingeschlagene Liebe zur Nachtschwester entfacht ein Gefühl auf Leben und Tod, sie gewinnt existenzielle Bedeutung, zumindest behauptet Augustus dies. Oder ist dies nur eine Inszenierung der Gefühle, eine effektvolle Überhöhung der eigenen Emotionen?
Zuzutrauen ist dem Regisseur („eigentlich bin ich nur ein um Beifall bettelnder Schauspieler, alles andere ist verlogen.“) alles, auf Gefühle anderer Menschen nimmt er keinerlei Rücksicht. „Ich liebe dich, und ich liebe die Nachtschwester“, erklärt er seiner Ehefrau und eröffnet ihr en passant, dass es eben eine Nachtschwester und eine Tagschwester gebe.
In diesem Drei-Personen-Stück geht es um die substanziellen Dinge unseres Lebens: Liebe, Ehe, Treue, Verrat, Heuchelei und Selbstbetrug. Walser spiegelt dies geschickt in der Kunst, durch Augustus wiederkehrende Reflexionen über seine Bühnenarbeit und vor allem seine aktuelle Tschechow-Regie. Was ist wahrhaftig, was ist Inszenierung? Als „Dekorateur der Lüge“ wird der männliche Protagonist bezeichnet, der das „Das Prinzip Verheimlichung“ zur Meisterschaft perfektioniert haben soll.

Immunschwächen der Seele
Augustus Baum ist eine hochinteressante Figur, aber so richtig warm wird man mit diesem modernen Narziss nicht. Vielleicht liegt es auch daran, dass Martin Walser alles tut, um diesen Zeitgenossen unsympathisch, unnahbar und hochgradig egozentrisch auftreten zu lassen. Seiner Frau gegenüber referiert er mit oberlehrerhaftem Tonfall über „Immunschwächen der Seele“ und erklärt ihr geradezu apodiktisch: Wir sind zu sehr eins. Also haben wir nichts voneinander.“ Im Gegensatz dazu scheint ihn mit der jungen Nachtschwester ein seltsames Band zu einen, so etwas wie eine absolute Kongruenz der Emotionen.
Augustus spielt (bewusst oder unbewusst) mit den Gefühlen beider Frauen, Eifersucht ist bekanntlich nicht nur ein großes Bühnensujet. Aber bei Walser zerfließen ohnehin die Grenzen, das reale Leben des Regisseurs ist eine einzige Inszenierung. Wie auf der Theaterbühne dominieren die Eitelkeiten und die Rollenspiele. Auf der letzten Seite heißt es: „All the world’s a stage.“
Vielleicht ist dieser zur Selbstinszenierung und auch zum Selbstmitleid neigende Regisseur Augustus Baum, der nur in künstlerischen Dimensionen denkt und fühlt, die autobiografischste Walser-Figur aller Zeiten. Eine weitere erzählerische Überraschung ist dem großen Autor vom Bodensee gelungen. Ein doppelbödiges Werk über einen in die Jahre gekommenen Künstler, der nach überstandener Krankheit, den Tod vor Augen, nach dem Strohhalm einer neuen Liebe greift. Das letzte Wort des Romans (aus Augustus’ Mund) macht sehr nachdenklich: „Badenweiler“. Dort ist der große russische Dichter Anton Tschechow am 15. Juli 1904 bekanntlich gestorben. Gottlob ist Martin Walser anscheinend (die jüngere Generation würde sagen) „fit wie ein Turnschuh“.

Martin Walser: Die Inszenierung. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013, 175 Seiten, 18,95 Euro

Das Buch ist ab Freitag (30. August) im Buchhandel erhältlich

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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