Buch der Woche: Der alte Herr Updike lässt grüßen
Michael Kleebergs Roman „Vaterjahre“
Da ist er wieder, der bieder-selbstzufriedene Langweiler Charly Renn aus Michael Kleebergs Roman „Karlmann“ (2007). Er ist älter geworden, hat das von seinem Vater geerbte Autohaus versilbert, ist in zweiter Ehe mit einer fürsorglichen Ärztin verheiratet und inzwischen Vater von zwei Kindern. Sein Leben hat sich verändert, er ist von der Haupt- in die Nebenrolle gewechselt, die Protagonisten sind nun die Kinder. Verbirgt sich hinter Charlys Bekenntnissen auch eine unausgesprochene Midlife-crisis?
Michael Kleeberg, wie sein Charly Renn 1959 geboren, präsentiert uns eine Hauptfigur, die in ihrer exponiert zur Schau gestellten Durchschnittlichkeit kaum zu toppen ist und frappierend an die Protagonisten aus John Updikes Romanen erinnert.
Und Michael Kleeberg versteht es meisterlich, mit dieser Figur und deren Lebensumständen zu spielen. Er begegnet Renn mit Ironie, stattet ihn mit etlichen Klischees aus, doch er gibt ihn nie der Lächerlichkeit preis.
Charly Renn ist von allem ein klein wenig, aber nichts so richtig. Er hat bescheidenen Erfolg im Beruf, er ist ein wenig sportlich (spielt mit Vorliebe Golf), hat eine einigermaßen intakte Familie im Rücken, doch richtig groß rausgekommen ist er nicht.
Als Geschäftsführer einer Kautschuk-Firma, die regen Fernosthandel betreibt, residiert er im Chile-Haus mit Blick auf den Hamburger Hafen - „dieses steinerne Schiff, dieser backsteinrote Klipper, dieser den Asphalt durchpflügende Eisbrecher des Handelsgeistes.“ Da möchte man am liebsten die stilistische Reißleine ziehen und Kleeberg (bzw. seinem Protagonisten) in die Parade fahren. Doch das hanseatische Denken, die Neigung zu Kühle und Arroganz, die vor allem bei einem Berlin-Besuch zum Ausdruck gebracht wird („Gott, ist das hässlich“), und Kleebergs ständiger Wechsel der Erzählperspektive fügen sich prächtig zueinander.
Polyphonie hat ihren Reiz
Mal spricht ein allwissender Ich-Erzähler zu uns, mal Charly selbst, dann seine Frau und ein philosophisch-räsonierender Meta-Erzähler. Durch diese Polyphonie gelingt es, den überhaupt nicht spektakulären Rennschen Alltag aufzupeppen und das Erzähltempo dementsprechend zu variieren.
Wer bei diesem opulenten Erzählwerk bereit ist, auch auf die Zwischentöne zu lauschen, dem wird auch der feine Humor dieses Autors, nicht entgehen. Charly Renn, der unintellektuelle und gar nicht kunstinteressierte Liebhaber kostbarer Weine und teurer Uhren, der immer gern etwas höher hinaus wollte, erleidet ausgerechnet auf der Köhlbrandbrücke, die in luftiger Höhe den Hamburger Hafen überspannt, einen Schwächeanfall.
Der Hund wird begraben
Da wird man vehement zurück geworfen zu den vermeintlich kleinen Dingen des Lebens, zu den privaten Schicksalsschlägen, die sich simultan zu den schockierenden Katastrophen in der Welt ereignen. Ausgerechnet am 11. September 2001 wird der Hund der Familie Renn begraben, und Charly steht vor der schwierigen Aufgabe, dies seiner kleinen Tochter beibringen zu müssen. Auf den ersten Blick wirkt dies banal an einem Tag, an dem die Welt aus den Fugen zu geraten drohte.
Bisweilen sind es aber diese simplen Dinge, die unser Leben maßgeblich prägen. Michael Kleeberg hat einen klugen und wohltuend leise erzählten Roman vorgelegt und darin viel über die Denkweise und die Mentalität seiner Generation eingefangen.
Renns „Vaterjahre“ sind alles andere als ein Zuckerschlecken – Harry Angstrom, der Protagonist aus John Updikes „Rabbit“-Romanen, lässt ein wenig grüßen. Und gespannt sein darf man schon jetzt auf Kleebergs Fortsetzung. Erleben wir dann Charly Renn beim Seniorentanz?
Michael Kleeberg: Vaterjahre. Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014, 512 Seiten, 24,99 Euro.
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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