Isabelle Lehns Roman „Die Spielerin“
Blick hinter die Fassaden

„Es ist eine Welt des schönen Scheins und der Fassaden. Eine Welt, die glänzt und durch Komplexität blendet, um zu verbergen, was sich hinter den Fassaden verbirgt.“ Mit diesen Worten hat die 45-jährige Schriftstellerin Isabelle Lehn ihren neuen Roman beschrieben, der - in rasantem Tempo erzählt – zwischen Krimi und Tragödie changiert.

In „Die Spielerin“ geht es um das Doppelleben der Protagonistin A, „man umschreibt sie als Frau mittleren Alters“ - unauffällig, zurückhaltend, eher „graue Maus“ als Powerfrau. In ihrem Debütroman „Binde zwei Vögel zusammen“ (2016) hat sich Lehn, die mit einer Arbeit über rhetorische Mechanismen in der Werbung promovierte, schon einmal mit dem Rollenspiel eines Doppellebens beschäftigt – damals hatte sich ein Journalist undercover in einem Ausbildungscamp für Afghanistan-Kämpfer eingeschleust.
Nun geht es nicht weniger gewagt und gefährlich für die Hauptfigur zu. Die nur A. genannte Protagonistin „mit beiger Bluse und Pagenkopf“ steht im Prolog vor Gericht. Nach ihrer Ausbildung zur Bankkauffrau in Niedersachsen landet sie über abenteuerliche Zwischenetappen in der Investmentabteilung einer großen deutschen Bank in Zürich. Sie erweist sich als äußerst clever (oder soll man besser ,dreist' sagen), gewinnt Einblick in Methoden, wie man Geld „reinwaschen“ und ohne Spuren zu hinterlassen, von A nach B transferieren kann. „In diese Rolle fügt sie sich ein, ihr bezeichnendes Merkmal ist ihre Durchschnittlichkeit.“ Man könnte schlussfolgern, eine bessere Tarnung gibt es nicht. Sie wird so zur weltweit operierenden Verwalterin des Vermögens der kalabresischen Mafia.
Isabelle Lehn, die in Leipzig lebt, wo sie drei Jahre als Lehrbeauftragte am Deutschen Literaturinstitut tätig war, hat sich eines (vermutlich) realen Hintergrunds bedient. Sie stieß in der Coronazeit auf einen Artikel des Journalisten Sandro Mattioli, der in diesem Frühjahr ein Buch mit dem Titel „Germafia – wie die Mafia Deutschland übernimmt“ (Westend Verlag) veröffentlich hat. Mattiolis Arikel lag die Frage zugrunde „Wollte die Mafia den ddp kaufen“ - also den Deutschen Depeschendienst, der 2013 in die Insolvenz ging. Darin tauchte eine unscheinbare Frau aus der niedersächsischen Kleinstadt Einbeck auf.
Der Roman handelt von den internationalen Finanzmärkten – von legalen wie illegalen Geschäften. Dabei geht es um Termin- und Derivatgeschäfte und um Hedgefonds. Isabelle Lehn erzählt die Handlung aus der Perspektive unterschiedlicher Personen, die über ihre Begegnungen mit der Hauptfigur „A“ berichten. Zumeist ist es der (leicht verächtliche) Blick von Männern auf eine kaum zu durchschauende Frau, die sich in der patriarchalen Finanzwelt ohne Ellenbogenattitüden ihren Platz gesichert hat.
Autorin Isabelle Lehn arbeitet gekonnt mit scheinbaren Antagonismen – mit Bankwesen und Mafia, mit Täter und Opfer, mit Finanzkrimi und menschlicher Tragödie, sowie mit den tradierten Rollen von Mann und Frau.
„Die Spielerin“ handelt von den großen Verlockungen des Geldes, von Machtgefühlen, von Aufstiegssehnsüchten und dem unwiderstehlichen Reiz als „Strippenzieher(in)“ im Konzert der Mächtigen mitzuspielen. Aber Isabelle Lehn kommt auf angenehm wohltuende Weise ohne den moralisierenden Zeigefinger aus. Eine atemberaubend spannende Lektüre. Und am Ende muss jeder Leser für sich entscheiden, ob die Hauptfigur A. mehr Täter oder mehr Opfer war.

Isabelle Lehn: Die Spielerin. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2024, 271 Seiten, 25 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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