09 CHRONIK: SIEBEN LEGENDEN MACHTEN DIE NACHT ZUM TAG
(ms) Die Besucher der 09 CHRONIK haben am Freitagabend eine Mammut-Talknacht erlebt, die alle bislang gekannten Dimensionen gesprengt hat. Drei Stunden und fünfzehn Minuten Nettospielzeit auf der Bühne – also ungefähr die doppelte Spieldauer wie das Auswärtsspiel in Sprockhövel – standen am Ende zu Buche. Denn die sieben geladenen 09-Legenden hatten viel, sehr viel zu erzählen.
Den Anfang machten Uwe Tschiskale und Harald Kügler, zwei Münsterländer Jungs, die unabhängig voneinander den Weg nach Wattenscheid fanden und dort richtig dicke Kumpels geworden sind.
Uwe Tschiskale kam 1985 an die Lohrheide und erzielte in seinen ersten beiden Zweitligajahren nicht weniger als 38 Tore. Eigentlich hatte er schon beim 1. FC Köln zugesagt, bis dann das Angebot des FC Bayern München reinflatterte. Ohne sich mit seiner Lebensgefährtin zu beraten, ließ er sich diese Chance nicht entgehen und wechselte für 700.000 DM Ablöse an die Isar, wo er persönlich eine einhundertprozentige Erfolgsquote für sich verbuchen konnte: alle Spiele, in denen er zum Einsatz kam, hat der FC Bayern nämlich gewonnen. Schade nur, dass der Uwe lediglich zweimal gebracht worden ist. Einmal in der Bundesliga beim 4:1 gegen Hannover 96 sowie beim Europapokalspiel bei CSKA Sofia (1:0). Geplagt vom Heimweh seiner Freundin zog es ihn nach nur einem halben Jahr zurück in den Pott zum FC Schalke 04, mit dem er aus der Bundesliga abstieg. Dort fühlte er sich zum Sündenbock abgestempelt. „Das war eine harte, lehrreiche Zeit für mich. Dass das Stadion damals „Tschiskale raus“ gerufen hat, war nicht angenehm.“ Nach nur einem Jahr Abstinenz
kehrte er dann zurück in den Schoß der 09-Familie, trug mit seinen Toren maßgeblich zum Bundesligaaufstieg bei und ist in der Retrospektive einer der namhaftesten Angreifer der Wattenscheider Fußballhistorie. Nach dem Ende seiner Karriere, die er Mitte der Neunziger Jahre bei Preußen Münster abschloss, hat er einen dicken Schlussstrich unter den Fußball gezogen. „Ich habe seitdem nie wieder ein Stadion betreten“, bekennt der 50jährige Kultfußballer, der gegenwärtig ein Hotel in Coesfeld betreibt. „Hier in der 09 CHRONIK sind aber jetzt so viele Erinnerungen geweckt worden, dass ich zu Hause mal die alten Kisten wieder aufmachen werden und die Sachen von früher mal wieder in die Hand nehme.“
Auch sein ehemaliger Teamgefährte Harry Kügler fühlte sich sichtlich wohl im Ambiente der 09 CHRONIK. Er erzählte von der viel gepriesenen Kameradschaft, die er in Wattenscheid so stark ausgeprägt wahrnahm wie an keiner anderen Wirkungsstätte seines fußballerischen Schaffens. Nur die Erinnerungen an seinen Abschied von der Lohrheide hinterließen einen Makel. Nach dem Bundesligaaufstieg fühlte er sich ausgebootet und ließ seine Karriere mit Engagements bei Preußen Münster, RW Essen und dem ETB SW Essen ausklingen. Seinen im letzten Sommer angetretenen Trainerposten bei der U19 der SG Wattenscheid 09 gab er schnell wieder auf. „Ich habe das eigentlich nur dem Mano Oliveri zuliebe übernommen. Aber ich habe schnell gemerkt, dass in mir nicht das Feuer gebrannt hat, um diese Sache gut und erfolgreich zu machen.“
Die zweite Runde des Abends war in etwa einem Geschichtsunterricht gleichzusetzen. In einer Doppelstunde erzählte Dr. Jost Benfer von einigen Ungereimtheiten, die er in den niedergeschriebenen Erinnerungen um die Anfangsjahre der SG Wattenscheid 09 entdeckt hat. Seit einigen Jahren dokumentiert er über regelmäßige Besuche des Stadtarchivs die Entstehung der SG Wattenscheid und hat dabei herausgefunden, dass das offizielle Gründungsdatum des Vereins überhaupt nicht stimmen kann. „Der 9. August 1909 kann es nicht sein, denn am 8. August hat die Mannschaft nachweislich ein Spiel ausgetragen“, wusste der Chronist, der bereits die Festschrift zum 90jährigen Bestehen geschrieben hat, zu berichten. Ferner erinnerte er an groteske Zustände in den Kriegsjahren. So war es keinesfalls einem magathschen Größenwahn zuzuschreiben, dass in einer Saison nicht weniger als 39 Spieler, darunter gar sieben Torleute, zum Einsatz kamen. Diese unfassbar hohe Personalfluktuation war schlicht und ergreifend dem Krieg geschuldet.
Auch Manfred Klein, mit 81 Jahren der Senior auf der Bühne, wusste die Jahre seiner Jugend mit markigen Erzählungen zu dokumentieren. „Wir hatten damals nichts, haben mit Lumpen Fußball gespielt“, erinnerte er sich. Von 1946 bis 1951 spielte der in der Jugend für die SG Wattenscheid 09, bevor er den Verein verließ. „Damals hat der Lehrling im Ausbildungsbetrieb nichts gezählt. Es kam nur ein einziger A-Jugendlicher in die erste Mannschaft hoch. Das war nicht ich. Also bin ich dann zu Westfalia Günnigfeld gegangen.“ 1958 beendete er dann seine Laufbahn im Vereinsfußball und widmete sich seiner zweiten Leidenschaft: der Taubenzucht. Doch bis in die Siebziger Jahre hinein kickte er noch für die Wattenscheider Rathausmannschaft. „Da waren heiße Spiele dabei. Die Truppe von der Bochumer Feuerwehr war richtig gut.“ Seit über vierzig Jahren ist Manni Klein nun als Kassierer am Lohrheidestadion, am Espenloh und an der Berliner Straße zuständig und zeigt dort bei Wind und Wetter Flagge. Ans Aufhören denkt der rüstige Vollblutnullneuner nicht. „Solange die Abrechnung stimmt und der Gerd Abstins nicht mit mir schimpft, mache ich weiter“, ließ er durchblicken. Und dass er auf einen korrekten Kassenstand allerhöchsten Wert legt, beweist folgende Erinnerung. „Vor vielen Jahren habe ich mal im Kassenhäuschen beim ehemaligen Tunnel hinter der 09-Fankurve gesessen. Eines Tages haben irgendwelche bösen Jungs mein Kassenhäuschen einfach umgeworfen, und ich saß drin. Aber die Eintrittskarten und die Einnahmen hab ich gerettet. Die Kasse hat gestimmt.“
Die dritte Runde der langen 09-Nacht bestritten schließlich drei Akteure, die den Weg der frühen Steilmann-Ära maßgeblich mitbestimmt haben. Die weiteste Anreise aller Gäste hatte Dieter Mietz, den es nach dem Ende seiner Laufbahn ins hessische Haiger verschlagen hat. „Ich habe die Einladung in die 09 CHRONIK aber sehr gerne angenommen. Ich habe hier im Ruhrgebiet noch Verwandte besuchen können.“ Als der „Zatopek vom Kohlenpott“ ist der wieselflinke Verteidiger einst in die Vereinsgeschichte eingegangen. „Ich hatte viele Angebote, aber meine Frau war ein Bochumer Mädchen, da bin ich hier in der Region geblieben.“ Als er seinen Status in der Amateur-Nationalmannschaft als einziger Regionalligaspieler in Gefahr sah, wechselte Dieter Mietz 1971 dann doch in die Bundesliga zu Borussia Dortmund – und stieg sofort im ersten Jahr aus der Bundesliga ab. „Der Verein war in der Zeit nicht besonders gut geführt“, erinnert er sich über vierzig Jahre zurück. Schließlich zog es ihn ins Siegerland, wo er seine Karriere bei den Sportfreunden Siegen ausklingen ließ. Auch die Erinnerungen an sein Mitwirken beim Olympischen Fußballturnier 1972 in München kamen nicht zu kurz. „In der Amateur-Nationalmannschaft habe ich viele Jahre mit Uli Hoeneß gespielt, mit dem mich eine tiefe Freundschaft verbindet.“
Bernd Gräwe war ein Mitglied der Mannschaft, die 1974 die Westmeisterschaft nach Wattenscheid holte und in der Aufstiegsrunde zur Fußball-Bundesliga mitwirken durfte. Er erklärte, warum sich dieser Erfolg in den Jahren danach nicht wiederholen ließ. „Solch einen Spieler wie Hannes Bongartz haben wir nie adäquat ersetzen können. Stattdessen haben wir dann einen Spieler wie Carlos Babington gehabt. Der wurde vom Boss fürstlich bezahlt und hat in der Kabine gerne seine Gehaltszettel liegen gelassen. Da hat natürlich jeder diskutiert, was er denn so verdient. Da hat das Gefüge in der Mannschaft schon drunter gelitten.“ Klaus Steilmann, in dessen Unternehmen Bernd Gräwe auch abseits des Fußballplatzes Karriere machte, war für die Spieler eine Autoritäts- und Respektperson. Das galt auch für Erfolgstrainer Kalli Feldkamp. Auch wenn dieser hier und da Anlass zum kollektiven Schmunzeln in der Kabine gab. „Als Fußballer war der Kalli ein Klopper. Und auch, wenn er zur Mannschaft geredet hat, wirkte das in seiner Anfangszeit sprachlich nicht so wirklich überzeugend. Das hat sich aber mit der Zeit sehr gebessert.“
Auch Reinhold „Kessi“ Klee wusste einige Anekdoten aus dem Jahr der Westmeisterschaft aufzutischen. Aber auch nach seiner aktiven Zeit blieb er der SG Wattenscheid 09 in verschiedenen Funktionen treu. Unter Dr. Karl Schiltz wechselte er in den Achtziger Jahren in den Vorstand, und in seiner Funktion als Manager lotste er später etliche namhafte Spieler an die Lohrheide, mit denen am Ende gar der Bundesligaaufstieg realisiert werden konnte. So erhielt beispielweise ein Thorsten Fink, der 1989 von den BVB-Amateuren zur Lohrheide kam, den nötigen Feinschliff für eine Karriere, die schließlich im Gewinn der UEFA Champions League gipfelte. „Dabei war der Thorsten eigentlich für die zweite Mannschaft vorgesehen. Aber er hatte auch ein Angebot von RW Essen vorliegen und wollte mehr. Und er hat mir klar gesagt, dass er sich die 2. Bundesliga zutraut. Als der Hannes Bongartz den Thorsten dann zum ersten Mal gesehen hat, war der sofort angetan von dem Jungen.“ Und auch das moderne Spielsystem mit Viererabwehrkette, das Hannes Bongartz mit Dienstantritt in der Saison 89/90 eingeführt hat, sieht Kessi Klee rückblickend als zielführend an. „Das System haben damals schon die Schweden und die Holländer gespielt, aber in Deutschland war der Hannes der erste, der das eingeführt hat.“ Und der Erfolg gab den Machern am Ende Recht. Denn das System trug Früchte, und die SG Wattenscheid 09 konnte sich vier Jahre lang in der Bundesliga behaupten.
Nach beinahe vier Stunden Bruttospielzeit schlossen die Türen der 09 CHRONIK gegen 23:30 Uhr. In Erinnerung bleiben viele einmalige Erzählungen von eloquenten Protagonisten, die allesamt ein Stück der nullneunerischen Vereinsgeschichte mitgeschrieben haben. Wer diesem Abend nicht leibhaftig beiwohnen konnte, hat in Kürze die Möglichkeit, sich die gesamte Talkrunde auf dem Videoportal des Wattenscheider Filmemachers Christian „Hoep“ Schipper anzusehen.
Drei Stunden allerbeste Abendunterhaltung und Infotainment, wie sie das deutsche Fernsehen in dieser Qualität nur noch selten hergibt…
Thorsten Fink über die SG Wattenscheid 09 ...
Autor:Der Hoep aus Wattenscheid |
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