Starke Frauen: Kirsten Lorberg
Kein Zuckerschlecken

Wasser ist ihr Element: Mit 50-Jahren hat Kirsten Lorberg ihren Tauchschein gemacht. | Foto: Dunja Vogel
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  • Wasser ist ihr Element: Mit 50-Jahren hat Kirsten Lorberg ihren Tauchschein gemacht.
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Ihr Gewicht war für Kirsten Lorberg lange Zeit eine Last – für ihren Körper und ihre Seele. Deshalb entschied sie sich vor vier Jahren für eine Magenbypass-OP und weiß: „Das ist kein ‚Freifahrtschein‘.“
„Ich war immer übergewichtig, schon als Kind“, erzählt Kirsten Lorberg aus Voerde. Hänseleien in ihrer Schulzeit habe sie erlebt. Das sei nicht einfach gewesen, habe sie aber auch nicht eingeschränkt. „Ich hatte immer gute Freunde und Spaß am Sport. Vor allem beim Schwimmen. Wasser ist mein Element“, erzählt die heute 55-Jährige, die mit 50 Jahren ihren Tauchschein gemacht hat und beim DLRG Voerde Kinder trainiert.

Disziplin

Bei ihrem ersten Abnehmversuch war sie 18 und „noch nicht stark übergewichtig“. Sie befolgte strenge Ernährungsregeln und nahm ab – und danach schnell wieder zu. So war es meistens. Kirsten Lorberg machte trotzdem weiter, jahrzehntelang. Mit viel Disziplin verlor sie bis zu 30 Kilo. „Ich dachte immer, irgendwann finde ich die eine Diät, mit der ich dauerhaft abnehme.“ Doch jedes Mal aufs Neue folgte der Jo-Jo-Effekt. Alte Verhaltensmuster haben sich immer wieder eingeschlichen und ihr Essverhalten bestimmt. Mit der Zeit wurde ihr Gewicht vor allem zur Belastung für ihre Seele: Verächtliche Sprüche und Blicke waren Reaktionen anderer auf ihre Erscheinung. „Das schlich sich so ein, ich habe still gelitten“, resümiert die kaufmännische Angestellte.
Auf ihre Familie und „guten Freunde“ konnte sie aber immer zählen. Letztere habe sie vor allem in ihrem Tauchverein gefunden.

Reißleine gezogen

Viele sehen Übergewicht als selbst verschuldetes Problem an. Mediziner denken kaum anders. „Es hieß immer nur ‚abnehmen‘“, erzählt Lorberg. Ebenso die Ärzte in ihrer letzten Reha, die sie regelmäßig „zur Erhaltung der Arbeitskraft“ beantragt. Dort wurde sie zum wiederholten Male standardmäßig auf Diät gesetzt. „Bei meiner Größe von 1,68 Meter und 156 Kilogramm lag mein BMI damals bei über 54 - Höchstgewicht“, sagt sie. Das war vor fünf Jahren.
Auf Rat einer anderen Patientin in der Reha stellt sie sich im Sommer 2017 im Adipositas-Zentrum der Sana-Klinik in Duisburg vor. Die Empfehlung der Spezialisten: eine Magenbypass-OP. „Ich habe zugestimmt und so die ‚Reißleine gezogen‘, um Folgeerkrankungen durch das Übergewicht vorzubeugen“, sagt sie selbstbewusst. Und: „Die OP ist absolut keine bequeme Lösung. Das sollte jedem bewusst sein.“
Bis es im März 2018 so weit war, musste Kirsten Lorberg viele Anforderungen erfüllen und psychologische Gutachten über sich ergehen lassen, damit die Krankenkasse die Kosten für den Eingriff übernimmt. Vier Wochen vor der Operation durfte sie nur Flüssignahrung zur Vorbereitung für den Körper auf die Umstellung zu sich nehmen. Ebenso im Anschluss daran, gefolgt von einem strengen Ernährungsplan.
„Ich hatte mich lange im Vorfeld mit der Thematik auseinandergesetzt und außer meiner Familie und ein oder zwei Freundinnen niemanden von meinem Entschluss erzählt. Erst nach der OP habe ich offen darüber gesprochen – sicher ist sicher “, sagt sie verschmitzt, „die Leute reden halt viel“.
Angst vor dem Eingriff habe sie nicht gehabt, eher ein gespanntes Gefühl der Vorfreude auf das, was danach kommt: „Wie wird das Leben weiter gehen? Schaffe ich das alles?“, hat sie sich gefragt, denn „mit der OP ist es nicht getan. Ihr „neuer“ Magen fasst seitdem nicht mehr als 200 Milliliter. Zudem verringert sich durch den Eingriff auch die Nährstoffaufnahme. Daher muss sie regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen, um Mangelerscheinungen vorzubeugen – ein Leben lang.

Leichter leben

An die neue Nahrungsmenge hat sich Kirsten Lorberg gewöhnt – und insgesamt 80 Kilogramm abgenommen. Statt Kleidergröße 58 trägt sie jetzt 42. Alte Kleidungsstücke habe sie bewusst keine behalten. Auch habe sie keine Vorher-Nachher-Fotos gemacht. „Ich blicke positiv nach vorne“, sagt sie stolz. „Das Leben lebt sich jetzt leichter. Ich gehe heute anders auf die Menschen zu und bin offener für die vielen Dinge, die ich noch machen möchte.“
Ein Wermutstropfen bleibt allerdings: Die Operation schafft auch neue medizinische Probleme. Nach der extremen Gewichtsreduktion hat die Haut sich nicht entsprechend zurückgebildet. Am Körper sind Hautschürzen entstanden, die entfernt werden müssen, damit die Proportionen stimmen. „Mein größter Kampf hält noch an“, erzählt Kirsten Lorberg. Drei Jahre haben sie und ihr Rechtsanwalt mit der Krankenkasse „gekämpft“, bis die erste Straffung genehmigt wurde. Das müsse einem bewusst sein, sagt sie. Man müsse sich regelrecht „ausziehen“. Und: „Die Anträge werden immer erst abgelehnt.“ Den vierten Eingriff hat sie gerade hinter sich, der Fünfte folgt demnächst. Insgesamt acht Operationen werden es am Ende sein. „Dann möchte ich endlich einen Schlussstrich ziehen.“

Wasser ist ihr Element: Mit 50-Jahren hat Kirsten Lorberg ihren Tauchschein gemacht. | Foto: Dunja Vogel
Autor:

Dunja Vogel aus Voerde (Niederrhein)

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