Endlösung

Endlösung
Katja saß - wie so häufig – apathisch im Kinderzimmer und beobachtete ihre schlafende Tochter in ihrem Gitterbettchen. Melissa war so ein süßes Mädchen. Endlich war sie eingeschlafen, nachdem sie völlig verstört lange in Katjas Armen wach gelegen hatte. Heute hatte sich Frank das erste Mal an seiner 2-jährigen Tochter vergriffen. Katja war in der Sparkasse putzen gewesen und Frank sollte auf die Kleine aufpassen. Eigentlich kümmerte sich ihre Mutter dann um Melissa, doch die hatte ausnahmsweise einen wichtigen Termin gehabt. Als Katja nach Hause gekommen war, hatte sie sofort ein ungutes Gefühl, denn Frank schraubte mit dem Nachbarsjungen an einem Mofa und von Melissa keine Spur. Sie fand das Mädchen im Kinderzimmer, wo es in der Kuschelecke mit der Schmusepuppe spielte. Als Katja hereinkam, rannte sie sofort in ihre Arme und drückte ihre Mama ganz fest. Auch, als Katja die Kleine auf die Wickelkommode gelegt hatte, ließ Melissa sie nicht los.
Irgendwie schaffte Katja es, ihre Pampers zu lösen. Sie legte eine neue unter den kleinen Po und …
erstarrte vor Schreck. Der Po war rot und an manchen Stellen bereits blau verfärbt. Tränen stiegen in ihre Augen und eine unglaubliche Wut überfiel sie. Seit 6 Jahren machte sie ein Martyrium mit, bekam immer wieder Prügel von ihm. Am nächsten Tag tat es ihm immer wieder leid und er gelobte Besserung. Ha!!! Nichts änderte sich – außer, dass er neben dem Alkohol nun auch Drogen konsumierte. Er versuchte es zu verheimlichen. Aber sie war nicht so dämlich, wie er glaubte. Längst hatte sie das weiße Pulver und die Spritzen entdeckt, die er im Partykeller – wie er glaubte – gut versteckt hatte.
Sie wusste, dass er Kokain spritzte – nur noch ein kleiner Schritt zum Heroin.
Sie starrte ihr Tränen-Tattoo an, das sie sich vor 3 Jahren auf den Unterarm hatte tätowieren lassen und mit einem Schlag wurde ihr klar: Sie wollte nicht mehr weinen, nicht mehr traurig sein. Er war zu weit gegangen. Nicht Melissa!!
Er war noch immer mit den Nachbarsjungen draußen. Sie griff zu ihrem Handy und rief Sabrina an. Die beiden hatten sich auf einem Trödelmarkt kennengelernt und danach gelegentlich getroffen. Sie war sehr betroffen von Katjas Schicksal. Sabrina arbeitete als PTA.
„Sabrina? Hey – ich brauch was von Dir.“ Katja schilderte ihr Vorhaben. Sabrina stellte keine lästigen Fragen. „Ok. Kann ich Dir besorgen. Lass uns morgen einen Kaffee in unserer Eisdiele trinken!“
Katja war mit Melissa bereits 20 Minuten früher in der Eisdiele. Sie war sehr aufgeregt. Gestern hatte sie Frank nicht mehr angesprochen. Sie hatte Angst, er könne wieder ausrasten. Also war sie früh zu Bett gegangen und hatte sich schlafend gestellt. Hatte prima geklappt. Morgens hatte sie ganz normal seine Brote für die Arbeit gemacht und sich nichts anmerken lassen.
Nun wartete sie. Auf die Erlösung. Auf Sabrina. Sie war sich sicher, dass sie ihr vertrauen konnte.
Sabrina kam pünktlich. Sie hatte mit, was Katja brauchte. Nach 2 Stunden trennten sich ihre Wege wieder und Sabrina wünschte ihr viel Glück. Sie solle sich melden, wenn es vorbei war.
Katja fuhr nach Hause. Frank war noch nicht zurück. Er kam meistens sehr spät, weil er noch immer mit ein paar Kumpels abhing. Sie packte ein paar Sachen für die Nacht. Sie wollte bei Anika übernachten. Dort hatte sie in der Vergangenheit häufig mit Melissa Zuflucht gesucht, wenn sie mal wieder Angst vor Frank hatte. Das war nicht ungewöhnlich.
Danach ging sie in den Keller. Sein Stoff lag an der gewohnten Stelle. Sie mischte ihr kleines Geschenk für ihn darunter und legte wieder alles so hin, wie sie es vorgefunden hatte.
Danach packte sie Kind und Tasche ins Auto und fuhr zu Anika, die schon wusste, dass sie mit Melissa bei ihr übernachten würde. Es war immer viel wert, gute Freundinnen zu haben.
Der Abend mit Anika wurde- wie immer-ganz nett. Sie hörten Musik, quatschten und blieben lange wach. Katja war zwischendurch immer wieder sehr nervös, was Anika nicht auffiel. Schließlich wirkte Katja fast immer sehr gehetzt.
War es schon vorbei?
Um 23.30 Uhr gingen sie zu Bett und Katja lag noch lange wach, während Anika nach kurzer Zeit neben ihr schon friedlich schlummerte.
Am nächsten Morgen um 10:00 Uhr rief sie unter einem Vorwand in der Firma ihres Schwiegervaters an, wo Frank arbeitete und gab vor, ihren Mann sprechen zu wollen. Oh – er war noch nicht da?
Sie rief ihre Mutter an und bat sie darum, mal drüben nachzuschauen. Ihre Mutter hatte für alle Fälle einen Schlüssel zum Haus.
20 Minuten später rief diese bei Anika an und teilte ihr mit, Frank säße reglos im Partykeller und sie habe schon einen Krankenwagen angerufen. Hörte sich ihre etwa Mutter erleichtert an?
Katja kam zu Hause an, als Frank eingepackt in einem schwarzen Sack auf einer Bahre hinausgetragen wurde. - Melissa hatte sie bei Anika gelassen.
Tränen der Erleichterung flossen in Strömen über ihr Gesicht. Außenstehende mussten vermuten, es seien Tränen der Trauer.
Ein Arzt fragte, ob er ihr helfen könne, aber sie verwies auf ihre Mutter, die neben ihr stand.

Abends klingelten 2 Polizeibeamte an ihrer Türe. Sie teilten ihr mit, dass Frank wohl an unreinem Kokain verstorben war. In seinem Blut wurde eine große Menge Lidocain gefunden. Sie würden zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wieder kommen und gern ein paar Fragen an sie stellen wollen.
Katja nickte und schloss die Türe hinter ihnen. Sie dachte darüber nach, wann sie ihr Tränen-Tattoo überstechen lassen würde. Vielleicht würde eine Sonne die Tränen gut überdecken?

Autor:

Michaela Düpont aus Voerde (Niederrhein)

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