Hospizdienst - Annette Schmitz begleitet Kind mit Mehrfachbehinderung
Mehr als emotional dabei

Annette Schmitz mit einem gemeinsamen Handprint.   | Foto: Reimet
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  • Annette Schmitz mit einem gemeinsamen Handprint.
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Wenn keine Aussicht mehr auf Heilung besteht und klar wird, dass ein Kind irgendwann sterben muss, begleitet der ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst die Familien auf ihrem Weg. Mit über 70 Mitarbeiter*innen im Ehrenamt zählt der Dienst im Kreis Unna mit seinen zwei Standorten zu den aktivsten im Deutschen Kinderhospizverein. Wie ein Begleitungseinsatz abläuft, was die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen motiviert und wie wichtig Zuwendung ist, stellen wir am Beispiel von Annette Schmitz (56) vor. Seit sechs Jahren begleitet sie regelmäßig ein Kind in einer Wohneinrichtung.

Sie ist aufgeregt, ihr Herz läuft fast über, wenn Annette Schmitz über ihre Begegnungen mit dem Jungen, nennen wir ihn Peter, spricht. Der Junge ist mehrfachbehindert. Heißt: Peter sitzt im Rollstuhl, kann vermutlich riechen, fühlen und hören, aber seine Muskulatur ist äußerst schwach. „Problematisch für die Lunge und eine häufige Todesursache“, weiß Annette Schmitz. Seit kurzem ist Peter auf ein Sauerstoffgerät angewiesen. Wenn sie ihn trifft, schlägt er manchmal die Augen auf, dann freut sich Annette Schmitz, er hat sie erkannt. Ganz sicher ist Peter erst, wenn er ihr Parfum riecht. „Dann spürt er, dass ich es bin.“
Kinder brauchen Kontakte
Ihre erste Begegnung ist sechs Jahre her. Bei ihrem ersten Besuch in der Wohneinrichtung sei es „Liebe auf den ersten Blick“ gewesen. Die Mitarbeiter*innen erklärten ihr, dass sie sich eine Begleitung für Peter sehr wünschten. In der Wohngruppe, die liebevoll eingerichtet ist, machte Annette Schmitz viel gute Erfahrungen. Ihre Besuche bei Peter erfuhren sofort viel Wertschätzung. Und mit der Begleitung eines Kindes im ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst hat sie einen wichtigen Punkt ihrer persönlichen To-Do-Liste erfüllt. Als Küchenfee arbeitet sie in einer Kita. „Mit Kindern mit einer Erkrankung wollte ich immer arbeiten, eigentlich auf einer Krebsstation, aber ich war immer Vollzeit berufstätig.“ Mit zwei Kindern blieb ihr kaum Zeit dafür. Beim Kinderschutzbund sagte man ihr ab, die meisten Eltern würden das selbst übernehmen. Auf den Tipp von Koordinationsfachkraft Annette Weber nahm sie Kontakt mit dem ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst Kreis Unna auf.
Umgang mit Endlichkeit
Am Anfang stand ein qualifizierter Vorbereitungskurs. Vier Monate werden die Ehrenamtlichen auf ihre Tätigkeit vorbereitet. „Es geht um die innere Haltung und die eigene Auseinandersetzung mit den Themen Sterben, Tod und Trauer“, beschreibt Jacqueline Camacho Take, Koordinationsfachkraft im Hospizdienst. Basis ist das sog. OPI-Konzept, es steht für Offenheit, Partnerschaftlichkeit und Integration. Besprochen werden unter anderem die eigene Endlichkeit, kindliche Todesvorstellungen, das Familiensystem und Themen wie Nähe und Distanz. Auch der Besuch bei einem Bestatter zählt mit dazu. Von rund zehn Teilnehmer*innen gehen die meisten in die Begleitung von Familien oder Geschwistern bzw. Öffentlichkeitsarbeit. „Mit dem Thema Endlichkeit haben wir uns sehr beschäftigt, es waren Mütter von Kindern mit einer lebensverkürzenden Erkrankung dabei, das war bereichernd für mich“, blickt Annette Schmitz zurück. „Man merkt, wo die Reise hingeht.“ Für sie war rasch klar, in einer Wohneinrichtung zu begleiten. „Weil manche Kinder selten Besuch kommen. Sie spüren das.“
Emotional dabei
Bei Peter musste sie vortasten, was man unternehmen kann. Ihm fehlt jegliche Mimik, Peter kann nicht lachen oder zeigen, was ihm gefällt. Seine Finger bleiben meist krumm, eine Spastik verspannt die Hände. Da fing Annette Schmitz mit Massagen und erzählen an. Und Peter entspannte sich. „Dann werden die Finger auch gerade.“ Gemeinsame Spaziergänge im Kurpark, vorlesen, singen und Handmassagen bei meditativer Musik sind wesentliche Beschäftigungen. Vogelzwitschern nimmt er wahr, Blätter in den Händen spürt Peter. Früher durfte sie ihn auf den Schoß nehmen. „Das geht momentan wegen Corona nicht.“ Mehr als 18 Monate wurde Peter im Rollstuhl vor die Tür gebracht, ein Betreten der Wohneinrichtung war zum Schutz der Bewohner*innen nicht möglich. Fühlte er sich nicht gut, fielen die Treffen aus. „Dann habe ich mindestens einmal pro Woche angerufen.“ Jetzt hofft Annette Schmitz wieder auf Treffen in der Wohngruppe. Für sie ist die Mitarbeit im ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst eine Win-Win-Situation. „Ich hoffe, er hat so viel davon, wie ich und ich komme runter, weil man sich auf die normalen Sachen des Lebens konzentriert.“
Es gibt Momente, die ihr sehr nahe gehen. Etwa als ein Mädchen in die Wohneinrichtung kam, das durch einen Unfall im Koma liegt. Als die Mutter ihr Bilder der fröhlich tanzenden Tochter zeigt, ist Annette Schmitz ergriffen. Wenn es Peter schlecht geht, bin ich emotional dabei.“ Und sie weiß, jederzeit kann der Anruf kommen, den sie möglichst nie haben möchte. „Dann stelle ich mir vor, da oben ist er vielleicht frei und tanzt.“

Info:
Der Ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst im Kreis Unna bietet den nächsten Vorbereitungskurs für ehrenamtliche Mitarbeiter ab dem 3. November 2021 an. Nachdem der letzte Kurs in digitaler Form stattfand, geht der Dienst jetzt von Präsenztreffen aus. Interessierte können Kontakt aufnehmen unter der Telefonnummer: 02303 942490.

Autor:

Stefan Reimet aus Holzwickede

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