Festjahr 1700 Jahre Jüdisches Leben - Neue Webseite sammelt Schicksale der Verfolgung
Lebenswege von Juden in Unna

Dr. Frank Ahland mit einer über 100 Jahre alten Kladde des Melderegisters Unna.  | Foto: Reimet
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  • Dr. Frank Ahland mit einer über 100 Jahre alten Kladde des Melderegisters Unna.
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Jüdische Kinder streicheln einen Schäferhund – Bei dem Fotomotiv zuckt mancher Betrachter ob der Symbolik zusammen. Doch auf der neuen Website des Arbeitskreis (AK) Spurensuche steht es für die Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens in der Hellwegstadt. Der neue Internetauftritt ist nur ein Kapitel, dass die Spurensucher zum Festjahr 1700 Jüdisches Leben in Deutschland beitragen.

Immer seltener kann zur Erinnerung an die Shoah auf Zeitzeugen zurückgegriffen werden, den Lebensweg während des Nationalsozialismus möchte der AK im Auftrag des Kreis Unna daher mit Hilfe internationaler Vernetzung nachzeichnen. „Ziel ist es, dass Nachfahren, die ihre Familiennamen googlen, sich über die Webseite melden“, erläutert Dr. Frank Ahland. Unna´s Stadtarchivar organisiert den AK in der Hellwegstadt. Unter www.juedischeslebeninunna.de bzw. stolpersteine-unna.de werden ab sofort Biographien jüdischer Mitbürger und Familien gesammelt. Themen wie Kochen, Weinproben und Termine zu Veranstaltungen der Jüdischen Gemeinde sind dort aufgelistet. An Geschichte interessierte Bürger, Schüler und an Besucher der Stadt, die mehr über die Synagoge, den Jüd. Friedhof oder das ehemalige israelitische Altersheim erfahren wollen, richtet sich die Plattform. Aber auch von Verfolgung bedrohte Emigranten hat Dr. Ahland im Blick, deren Biographien dem Vergessen anheim fallen könnten.
1700 Jahre Jüdisches Leben
Mit rund 20 Veranstaltungen begleitet die Stadt Unna das offizielle Festjahr 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland. Bei Literatur- und Diskussionsabenden werden Schicksal, Alltag und Kultur vorgestellt. Gleich zwei Mal wird der zeitkritische Filmklassiker „Masel Tov Cocktail“ gezeigt. Schwerpunkt ist die Synagoge der Gemeinde HaKochaw in der Buderusstraße, in der auch Führungen angeboten werden. Die gibt es auch zum Tag der Jüdischen Kultur quer durch das Stadtgebiet und als Exkursion „Stolpersteine“.
Ausstellung zur Euthanasie
Eine besondere Ausstellung bereitet Dr. Ahland derzeit vor. Er knüpfte Kontakt zu Pablo Arias, einem Berufskolleg-Lehrer in Hagen, der für dieses Jahr eine Präsentation zur Verfolgung behinderter Menschen während des Nazi-Regimes geplant hatte. Auch in Unna gab es dokumentierte Fälle von Euthanasie (absichtliche Herbeiführung des Todes bei unheilbar Kranken, etwa durch Medikamente) und Zwangssterilisation Behinderter. Für Dr. Ahland lag es nahe, die Ausstellung um Zusatztafeln zu ergänzen und auch im Kreis Unna zu zeigen. Bei der Recherche stieß er anfangs zufällig auf vage Angaben. Bei Nachforschungen in Kirchenbüchern und Melderegistern wurde er fündig, Aufschluss geben oft die Todesorte. Zu Zwangssterilisierungen zwischen 1935 und 1939 fand er eine geringe  Zahl am Ev. Krankenhaus in Unna. Vor dem ehem. israelitischen Altersheim (Boniheim) erinnern Stolpersteine an Juden, die der Euthanasie zum Opfer fielen. „Ermordung geistig Behinderter begann mit den Juden und später auch generell Behinderte“, so Dr. Ahland.
Die Ausstellung von Pablo Arias soll, nachdem sie in Hagen präsentiert wurde, im Frühjahr 2022 nach Unna kommen.

Stolpersteinverlegungen

Für das Festjahr hatten die Spurensucher zwei Verlegungen von Stolpersteinen geplant. Diese sollen im Frühjar 2022 nachgeholt werden. Im Gedenken an das Ehepaar Julius und Meta Caspary werden zwei Steine vor dem Haus Morgenstraße 36 verlegt. Die Gastronomie „Müser´s Kabinett“ in der Herderstraße betrieben sie bis 1938, wurden zum Verkauf gezwungen und flohen nach Bolivien, wo sie Anfang der 40er Jahre verstarben. Kinder und Enkel wanderten ebenfalls nach Bolivien aus. Der Urenkel Fred Reich, kurz nach 1945 in La Paz geboren, hat seinen Besuch anlässlich der Feierstunde angekündigt. Über die Geschichte seiner Familie schrieb er ein Buch. In einer Vorveranstaltung wird er Schülern aus Unna Fragen zum Lebensweg seiner Familie beantworten.
Sederteller aus 1766
Erweitert werden die vier Stolpersteine der Familie Brandenstein in der Bahnhofstraße 25. Im Gedenken an das Ehepaar Friedericke und Joseph Rosenmeyer, die Großeltern Lotte Brandensteins und Ur-Urgroßeltern von Nachfahren aus Amerika, die an dieser Verlegung teilnehmen werden. Recherchen zu einem Sederteller (1766), einem rituellen jüdischen Teller, der beim Pessach-Fest eine Rolle spielt, führten Ahland zu Josef und Friedericke Rosenmeyer. Der Teller befindet sich im Hellweg-Museum. Eine Leihanfrage zur Bestimmung des Eigentümers führte zu den Nachfahren der geflohenen Familie Brandenstein. Der Fund ist auch Anlass einer Veranstaltung zur Rückerstattung geraubter Kunstgegenstände im Rahmen des Festjahres.

Geplant ist der Termin für Freitag, den 28. Januar 2022. Alle Steine stammen von dem Kölner Skulpturkünstler Gunter Demnig, der mit seiner internationalen Mahnmal-Aktion weltweit 75 Tsd. Stolpersteine gesetzt hat. Über 200 Stolpersteine befinden sich bereits in Unna. 

Drei Fragen an... Dr. Frank Ahland

Herr Dr. Ahland, was ist die Aufgabe des AK Spurensuche?

Seit etwa 2007 gibt es die Spurensucher in Unna, die eng mit der Gruppe in Holzwickede zusammenarbeiten. Angefangen hat es mit Stolpersteinen für verfolgte Juden. Mit Reinhard Drücke aus Königsborn wurde das auf Homosexuelle erweitert. Die Recherchearbeit ist nicht beschränkt und bezieht Behinderte, Widerständler, Opfer der Euthanasie usw. ein. Am Beispiel konkreter Schicksale die Erinnerung an die Verfolgung in dieser Zeit erhalten ist unser Motiv.

Welche Rolle übernehmen Sie im Arbeitskreis in Unna?

Moderation und Unterstützung, weil ich die Literaturlandschaft kenne, wie etwa den Fundus an Meldekarteien, Standesamturkunden im Stadtarchiv. Stelle ich Anfragen in anderen Archiven geht es meist etwas schneller. Meine Aufgabe ist groß und ich wünsche mir noch mehr Engagement der Teilnehmer. Da ist aber schon etwas Drive reingekommen.“

Vor zwei Jahren traten Sie als Stadtarchiv in Unna ihren Dienst an, was ist Ihre Hauptaufgabe?

Die wichtigste Dokumentationsstelle der Stadt möchte ich weiter öffnen, für private Ahnenforscher ebenso wie für Schüler, Studenten und Ortshistoriker.

Autor:

Stefan Reimet aus Holzwickede

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