Schwester Gülce ist überall zu Hause
Unna. Integration ist wichtig. Die Bewahrung der eigenen kulturellen Identität aber auch. Das Beispiel der türkischstämmigen Gürcü Ersan zeigt, dass beides gut zusammenpasst.
„Manchmal“, sagt Gürcü Ersan, „weiß ich gar nicht so genau, wohin ich eigentlich gehöre“. Die 41-Jährige wurde in Deutschland geboren, verbrachte ihre frühe Kindheit trotzdem in der Türkei, ihre Schulzeit in Unna und ist heute als Pflegerin beim Ambulanten Pflegedienst des Caritasverbandes für den Kreis Unna e.V. beschäftigt. Hier rufen sie alle „Schwester Gülce“, was etwas einfacher auszusprechen ist als „Gürcü“.
Mit dem Lohn aus ihrer Arbeit für den katholischen Verband versorgt Gürcü Ersan drei Söhne und ihren chronisch erkrankten Mann. Und in ihrer Freizeit betet die gläubige Muslima regelmäßig in der Moschee und engagiert sich ehrenamtlich für ihre Gemeinde. Es ist nur zu verständlich, dass Gürcü Ersan manchmal verunsichert ist, wenn sie sich fragt, wo sie denn nun hin gehört. Und doch hat sie darauf täglich eine klare Antwort: nämlich überall.
Gürcü Ersan fühlt sich überall zu Hause
Gürcü Ersan lebt jede ihrer vielen Rollen konsequent und mit Hingabe. Sie hält ihre 6- bis 17-jährigen Söhne zur Selbständigkeit und Verantwortung an, zeigt ihren berechtigten Stolz, wenn deutsche Bekannte das vorbildliche Verhalten ihrer Kinder loben, hält ihren Glauben lebendig und geht in ihrer Arbeit als Pflegerin auf.
Mit Vorurteilen und kulturellen Unterschieden geht sie pragmatisch und unaufgeregt um. „Die Kolleginnen in der Caritas-Sozialstation ermöglichen mir freie Tage, wenn wir das Zuckerfest zum Abschluss des Ramadan feiern. Und ich übernehme natürlich die Schichten der anderen an Weihnachten“, erzählt Ersan.
Die 41-Jährige sucht und findet lieber Gemeinsamkeiten, statt sich durch Unterschiede irritieren zu lassen. Das gilt auch für ihre Arbeit als Muslima bei einem katholischen Träger: „Wir alle glauben an Gott und die Nächstenliebe. Und das verbindet uns“, sagt sie.
„Uns verbindet der Glaube an Gott“
Hin und wieder, erzählt Ersan, würden ältere Patienten ihre Vorurteile gegenüber Migranten äußern. „Die kommen gar nicht auf die Idee, dass ich selbst Türkin bin“, erzählt die Pflegerin in ihrem tadellosen Deutsch. „In solchen Fällen ermutige ich die Menschen dazu, die Perspektive zu wechseln und die Sache doch mal anders zu betrachten.“
Sprache als Schlüssel aus der Isolation
So entspannt hat Schwester Gülce die Welt nicht immer gesehen. Als Grundschülerin, die die meisten Jahre ihres jungen Lebens in der Türkei verbracht hatte, litt sie sehr unter der Ausgrenzung durch ihre Mitschüler. Dabei erkannte sie selbst den Schlüssel für ihren Weg aus der Isolation: die Sprache. „Ich war etwa neun, und mein allergrößter Wunsch war, vernünftig deutsch zu sprechen.“ Mit starkem Willen und Disziplin lernte die junge Gürcü deutsch, feierte Erfolge in der Schule, knüpfte Kontakte und trainierte sich darin, Vorurteile nicht mehr zu ernst zu nehmen.
Als Pflegerin beim Caritasverband kann sie diese Erfahrungen gut einbringen. Sei es, um deutschen Patienten die Stereotype zu nehmen; sei es, um die kulturell bedingten Schwellenängste von Patienten mit eigenem Migrationshintergrund zu mindern. Oder um als offizielle „interkulturelle Öffnungspatin der Sozialstation Unna“ zu agieren.
Mitarbeiterinnen in interkulturellen Fragen praxisorientiert zu beraten. Darüber freut sich Gürcü Ersan. Und sie ist auch ein bisschen stolz. Stolz darauf, voll integriert und doch sie selbst geblieben zu sein.
Autor:Jörg Stengl aus Unna |
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