Schwerbehindert, weiblich, über 50 - und trotzdem: Endlich wieder Arbeit!
Die „ruhigen“ Weihnachtsfeste der vergangenen zwei Jahre möchte Irene Oesterreich gerne so schnell wie möglich vergessen und freut sich dafür in diesem Jahr auf „stressige“ Weihnachten – „da darf ich nämlich arbeiten“, lacht die neue Verkäuferin im Carekauf in Hemmerde.
Es sind zwei harte Jahre, die hinter der gelernten Verkäuferin liegen. Gelernt hatte sie im Lebensmittelhandel, dann arbeitete sie 20 Jahre für Schlecker – bis zur Pleite. „Ich war bis zum bitteren Ende dabei“, erinnert sie sich heute.
Und wusste damals, im Frühjahr 2012, gleich, dass es nicht leicht sein würde, eine neue Anstellung zu finden. „In meinem Alter ...“ Zuerst Arbeitslosengeld – und dann Hartz IV. „Das war dann richtig schlimm“, so Irene Oesterreich. Dass man sich auf einmal rechtfertigen muss, warum man denn zum Beispiel dieses große Auto habe. „Das war auch für meinen Mann schlimm“, so die sympathische Frau aus Opherdicke.
Immer wieder bemühte sich Irene Oesterreich um Jobs, schrieb Bewerbung auf Bewerbung. Und auch die Agentur für Arbeit und das Jobcenter bemühten sich – vergebens. Denn Irene Oesterreich gehörte nach einem Jahr Arbeitslosigkeit nicht nur in die „schwierige“ Gruppe der über 50-jährigen Langzeitarbeitslosen, sondern sie ist auch schwerbehindert.
„Totschlagargumente für Arbeitgeber“
„Für Arbeitgeber sind das echte Totschlagargumente“, weiß Monika Boxhammer, die sich bei der Agentur für Arbeit vor allem um die berufliche Rehabilitation von Behinderten kümmert.
Immer noch klammern sich viele Arbeitgeber an dumme Vorurteile: da ist das Bild vom faulen Langzeitarbeitslosen, der nie wieder in einen geregelten Arbeitsalltag finden kann, da ist die Gleichsetzung „behindert = krank“ oder der Glaube, man könne einem behinderten Arbeitnehmer nie wieder kündigen. „Alles nicht belegbar oder schlichtweg falsch“, ärgert sich Sina Kaschewsky vom Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit.
„Dieses Vorurteil mit dem ‚nie wieder kündigen können‘ höre ich tatsächlich immer wieder. Aber einen Behinderten, der in die Kasse gegriffen hat, können sie natürlich genau so kündigen wie einen Nicht-Behinderten – nur dass das dem Integrationsamt gemeldet werden muss.“ Und dort reagiert man sehr sensibel auf die Belange der Arbeitgeber.
Den Vermittlern stehen zahlreiche Instrumente zur Verfügung, ihre Kunden wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. „Es gibt viele Fördermöglichkeiten was Weiterbildung und Qualifizierung angeht, aber es gibt auch ganz konkrete Angebote an die Arbeitgeber, die sich für einen schwerbehinderten Bewerber entscheiden“, erklärt Monika Boxhammer.
Rund 1.700 Schwerbehinderte werden zur Zeit von Monika Boxhammer und ihrem Team betreut, „davon haben rund 50 Prozent eine ganz normale Ausbildung. Schließlich wird eine Behinderung oft erst im Laufe des Lebens erworben“, so die Arbeitsvermittlerin.
Erst im Gespräch von der Behinderung erfahren
So wie Irene Oesterreich, die nach einer Krebserkrankung den Schwerbehindertenschein erhielt. Dabei wird im täglichen Umgang kaum jemand auf die Idee kommen, dass sie schwerbehindert ist.
„Auch ich habe erst im Vorstellungsgespräch erfahren, dass Frau Oesterreich schwerbehindert ist“, berichtet Ralf Plogmann, Geschäftsführer der Caritas. Hier hatte sich Irene Oesterreich auf Vermittlung der Agentur für Arbeit auf eine freie Stelle hin beworben. Und Ralf Plogmann ließ sich nicht schrecken, als er von ihrer Behinderung erfuhr. Schließlich hat die Caritas und auch die angegliederte Carint GmbH als Betreiber des Carekauf in Hemmerde einen Behindertenanteil von 50 Prozent. „Aber Frau Oesterreich war mit ihrer Berufserfahrung, ihrer Lebenserfahrung und ihrem Wesen einfach die qualifizierteste Bewerberin für den Job – Behinderung hin oder her“, so Ralf Plogmann.
Und so nahm zumindest für Irene Oesterreich ihre Zeit als Arbeitslose ein gutes Ende, seit Oktober ist sie als Verkäuferin beim Carekauf in Hemmerde angestellt – zum ganz normalen Einzelhandels-Tariflohn. Eine echte „Win-Win-Situation“ also...
Das passt: Arbeitslosenzahlen in November gesunken
Die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderung ist leicht zurück gegangen: Im November ist die Zahl der arbeitslosen Personen mit Behinderung westfalenweit um 219 gesunken. Insgesamt waren Ende November in Westfalen-Lippe 22.125 Menschen mit Schwerbehinderung ohne Arbeit (13.417 Männer und 8.708 Frauen). Das sind jedoch 74 mehr als vor einem Jahr. Das zeigt der jüngste Bericht des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL).
"Die Arbeitslosenzahlen sind zwar nur marginal zurück gegangen, damit setzt sich aber die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt Menschen mit Schwerbehinderung der vergangenen Monate fort.
Besonders erfreulich ist, dass es dem LWL-Integrationsamt und den Agenturen für Arbeit 2013 und 2014 mithilfe des Förderprogramms "Initiative Inklusion" gelungen ist, 419 schwerbehinderte Arbeitslose über 50 Jahre, die besonders schwer vermittelbar sind, in neue Jobs zu bringen," so LWL-Sozialdezernent Matthias Münning zu den jüngsten Zahlen vom Arbeitsmarkt schwerbehinderter Menschen.
Autor:Elke Böinghoff aus Unna |
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