Mit Tanzen gegen das Vergessen

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Unna. „Wissen Sie was?“, ruft eine Bewohnerin des „Haus Husemann“ in die Menge. „Meine Füße tun beim Tanzen gar nicht mehr weh!“ Andere singen begeistert im Chor den Evergreen „Ich tanze mit Dir in den Morgen“.
Viele der Senioren sind desorientiert. Sie wissen nicht, welcher Tag heute ist oder wie ihr Name geschrieben wird. Eines steht bei diesem ungewöhnlichen Tanzcafé jedoch außer Zweifel: „Tanzen macht Spaß!“ Und die Musik öffnet scheinbar verschlossene Türen.
Madlen hält einen Rentner in den Armen, der selig lächelt und mitsingt. Begeistert lässt er sich von der jungen Altenpflegeschülerin über das Parkett führen. Die Schritte für den Walzer haben sie beide gerade erst gelernt – Jung und Alt ge-meinsam im Tanzkurs. Die Idee dafür hatte Ulla Johr Mennigmann vom Institut für angewandte Empathie. Ein Pilotprojekt, das in Deutschland einmalig ist. „Mir geht es darum, mit dem generationenübergreifenden Ansatz etwas zu erreichen – und Jung und Alt zusammen zu führen.“ Die besondere Ansatz: Tanzen und Musik überwinden die Barrieren im Alltag einer Senioren- und Pflegeeinrichtung.
Das Konzept geht auf – voll und ganz. Die 16 Schülerinnen und Schüler des Fachseminars für Altenpflege der Diakonie Ruhr-Hellweg greifen ganz selbstverständ-lich nach den ausgestreckten Händen der Senioren und bewegen sich mit ihnen im Rhythmus. Die richtigen Tanzschritte werden dabei fast zur Nebensache. „Die Bewohner haben mir noch einiges beigebracht“, erzählt Madlen schmunzelnd. Sie konnte überhaupt nicht tanzen – bis sie bei diesem Projekt mitmachte. „Die Senio-ren fangen plötzlich an, über ihre Jugend zu erzählen, wie sie früher zum Tanzen gegangen sind und selbst Musik gemacht haben“, berichtet Marvin. „Wir können aus diesem Projekt bestimmt einiges auch später im Beruf gebrauchen“, meint Benjamin.
Die Schülerinnen und Schüler müssen im Fachseminar für Altenpflege noch ein Jahr lang die Schulbank drücken, bis sie ihren Berufsabschluss als Altenpfleger haben. In Lehrbüchern wird vor allem die Theorie vermittelt. Hier, im Seniorenzentrum „Haus Husemann“, erleben sie eine ganz andere Praxis. Die Einrichtung hat schon häufiger mit Ulla Johr Mennigmann in verschiedenen demenzbezogenen Projekten kooperiert. Ein Tanzkurs ist auch für die Bewohner eine Premiere. Ein Abschlussball mit allem Drum und Dran erst recht. Madlen, Benjamin und Marvin haben sich extra schick für diesen Abend gemacht. Auch die Bewohner haben ihre schönsten Kleider angezogen. Es ist eben für alle ein feierlicher und ganz besonderer Anlass.
Einige Schüler haben mit den Senioren im Rollstuhl extra einen Sitztanz eingeübt. Andere beobachten fassungslos, wie ein sonst vollkommen schweigsamer Bewohner den gesamten Text eines UFA-Schlagers mitsingt. Dazu läuft die Videokamera, um für eine spätere Auswertung, Reflexion und für einen eventuellen Lehrfilm für Schulen alles zu dokumentieren.
„Die Schüler lernen, die Alten wissen – und die Senioren bekommen auf diese Weise Wertschätzung“, beobachtet Ulla Johr Mennigmann zufrieden das bunte Treiben auf der Tanzfläche. Inzwischen halten sich alle an den Händen und bilden einen spontanen Reigen. Keine Frage: Das Projekt war ein voller Erfolg für alle Beteiligten. So erfolgreich, dass zwei Pflegeschüler der Fachseminars für Altenpflege weiter mit Demenzerkrankten arbeiten werden: Sie begleiten demnächst einen Diakonie-Urlaub speziell für Erkrankte und deren Angehörige.

Autor:

Jörg Stengl aus Unna

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