Die Westfälische Rundschau schließt die Lokalredaktion in Unna und erscheint in Zukunft mit dem Lokalteil des Hellweger Anzeigers

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Eine Ära der lokalen Berichterstattung geht zu Ende. Mit der Schließung der Lokalredaktion der Westfälischen Rundschau gibt es ab Februar nur noch einen Anbieter auf dem lokalen Informationsmarkt. Die Meinungsvielfalt in Unna wird einge-schränkt und die demokratische Kontroverse muss sich ein neues Forum suchen. Die Art und Weise der Abwicklung der Lokalredaktionen im Ruhrgebiet durch den WAZ-Medienkonzern hat sowohl die WR-Mitarbeiter als auch die Öffentlichkeit überrumpelt.

Als eine ihrer letzten Aktivitäten hat die Unnaer Lokalredaktion eine Solidaritäts-aktion des Vereins "Aktion für Kinder" unterstützt. Bürger und Kulturschaffende hatten vielfältige Gegenstände zur Verfügung gestellt, die gegen eine Spende an einem Stand auf der Bahnhofstr. erworben werden konnten. Auch Erinnerungsstücke aus den Privatarchiven der Rundschauredakteure wechselten ebenfalls den Besitzer. Cirka 2000 € kommen nun Unnaer Kindern als Zuschuss zu Frühstück und Mittagessen in Schulen und Tagesstätten zugute.

Die folgende Mitschrift eines Interviews, das in einer der letzten lokalen Ausgabe der WR erschien, dokumentiert den kritischen Journalismus für den die Unnaer Rundschau jahrzehntlang stand. Der Beitrag mit dem Titel „Die Geschichte der in Unna verfolgten Juden neu schreiben“ beschreibt eine Perspektive, die über das bisherige Opfergedenken hinaus geht:

„In die Diskussion um ein neues Denkmal für die aus Unna stammenden jüdischen Opfer des Hitler-Regimes hat sich zuletzt der Sozialarbeiter Klaus Koppenberg stark zu Wort gemeldet. Auch mit dem Hinweis, ohne die Täter beim Namen zu nennen, sei kein vollständiges Gedenken möglich. Redakteur Volker Stephan befragte Koppenberg nach seinen Beweggründen. Dabei gewährte Koppenberg auch einen Einblick in aktuelle Forschungsprojekte, die sich mit der jüngeren Unnaer Geschichte befassen.

frage: Herr Koppenberg, warum ist es Ihrer Ansicht nach so wichtig, auch den Unnaer Tätern während der Nazi-Zeit ein Gesicht und einen Namen zu geben?

antwort: Klaus Koppenberg: Weil nur derjenige Geschichte wirklich versteht, der das Täter-Opfer-Verhältnis beurteilen kann. Ich muss die Motive der Menschen kennen. Viele waren damals schlicht und haben sich nicht ausreichend über die Nazis informiert. Es gab damals auch in Unna viele Demokratieskeptiker. Die waren offen für die anti-kommunistischen Parolen der Nazis. Die anti-semitischen Tendenzen haben viele nicht wahrgenommen oder aber ausgeblendet. Und schließlich glaubten Kirchen, Zeitungen und Wirtschaftsunternehmen, einen Vorteil aus der Zusammenarbeit mit den Nazis ziehen zu können.

frage: Wie war das in Unna?

antwort: Auch in Unna haben viele profitiert. Sie müssen aber bedenken, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Gesellschaft viel gespaltener war. Katholische und protestantische Kirche lebten in ihren eigenen Welten. Die Juden waren im Alltag noch mehr isoliert. Da alle nur an sich dachten und der Kitt in der Gesellschaft nicht sehr fest war, hat sich in der aufgeheizten politischen Situation niemand für die Demokratie eingesetzt.

frage: Was ist Ihre Rolle heute?

antwort: Ich versuche, die Geschichte der Judenvertreibung in Unna neu zu erzählen. Dazu zählt auch ein Projekt, das ich mit Wilhelm Hochgräber aus der Geschichtswerkstatt Holzwickede vorantreibe. Wir analysieren im Stadtarchiv die Zeitungen danach, wie ihre Gesinnung vor Hitlers Machtergreifung im Januar 1933 war und wie danach.

frage: Was soll die neue Geschichte der Judenvertreibung in Unna denn noch darstellen?

antwort: Wir versuchen zu beschreiben, dass die jüdischen Mitbürger mehrfach betrogen und beraubt worden sind. Auch nach dem Ende des Nazi-Regimes, bei der Wiedergutmachung.

frage: Wie meinen Sie das?

antwort: Nun, in Unna und anderswo spielen Anwälte dabei eine wichtige Rolle. Die so genannten Arier haben ja am Eigentum der jüdischen Mitbürger verdient, indem sie für ganz wenig Geld die Geschäfte und Immobilien von Juden übernommen haben. Bei dieser Form der Enteignung haben Anwälte und Notare auch mitgeholfen. Und nach dem Ende des Krieges, als es um die Wiedergut-machung ging, haben diese Anwälte oft noch einmal die deutschen Eigentümer juristisch vertreten. Mit dem Ziel, die Ausgleichszahlungen so gering wie möglich zu halten.

frage: Würden Sie für Unna Namen nennen?

antwort: Wenn Sie das in dem Sinne meinen, dass ich jemanden anprangern will, dann nein. Ich reagiere dann, wenn ich glaube, dass Zusammenhänge verkürzt dargestellt werden.

frage: Wann zum Beispiel?

antwort: Wenn im Zusammenhang mit dem Jubiläum des Unnaer Kaufhauses Schnückel in Werbeanzeigen und Zeitungstexten von einer „Geschäftsgründung“ gesprochen wird.

frage: Was soll daran Ihrer Meinung nach verkürzt dargestellt sein?

antwort: Das Geschäft wurde in dem Sinne nicht gegründet, sondern ging von einem jüdischen Eigentümer nicht freiwillig auf den deutschen Nachfolger über. Der Ort, das Warenangebot, das Inventar – alles war schon vorhanden, kaum etwas davon hat sich wesentlich geändert.

frage: Eine solche Haltung wie die Ihre wird Ihnen nicht unbedingt große Zustimmung bringen, oder?

antwort: Nein. Ich werde auch von Politikern gefragt, warum ich das tue, ob ich Schnückel oder anderen schaden wolle. Ich will das nicht und tue das nicht. Den historischen Zusammenhang zur Entstehung des Kaufhauses Schnückel stellt ja das Unternehmen selbst öffentlich so dar. Es ist aber auch eine schwierige Lage für solche Unternehmen.

frage: Was wäre eine Lösung?

antwort: Kaum jemand in der Wirtschaft weiß, wie die eigene Geschichtsaufarbeitung gehen kann. Nur Historiker können aus dem Dilemma helfen.

frage: Aus welchem Dilemma?

antwort: Wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfordernissen gerecht zu werden. Solange nun alle fünf Jahre auf ein neues Geschäftsjubiläum öffentlich hingewiesen wird, werde ich öffentlich reagieren.

frage: Auf welchem Weg?

antwort: Ich werde Leserbriefe schreiben. Da Ihre Lokalredaktion dann nicht mehr existiert, werde ich an den Hellweger Anzeiger als letzte Tageszeitung schreiben. Da ich nicht davon ausgehe, dass alles von mir abgedruckt wird, nutze ich andere Foren und die mir offen stehenden Kanäle wie mein Profil auf Facebook und meine Seite auf lokalkompass.de, alles im Internet.

frage: Was für ein Problem besteht mit Leserbriefen?

antwort: Ich weiß, dass bei privat-wirtschaftlich geführten Medien und Unternehmen die wirtschaftliche Interessen groß sind. Normalerweise ist das aber kein Problem, wenn die Vielfalt gewährleistet ist. Ich kann dann Leserbriefe so anpassen, dass wenigstens das Thema öffentlich wird, auch wenn ich selbst einige Passagen ändere. Demokratie wird aber anfällig, wenn es nur noch eine Meinung gibt. Wenn es zu einer Monopolisierung in der Gesellschaft und damit auch in den Medien kommt, was wird dann aus der Demokratie?

Autor:

Klaus Koppenberg aus Unna

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