Camping
Aufbruch ins Ungewisse - nein, natürlich nicht. Camping ist angesagt, haben wir noch nie gemacht. Wir, das ist meine Frau Anna (37), unsere beiden Kinder Sarah (15) und Tim (10), ja und ich Harald (38). Geplant ist eine Woche zum Edersee. Natürlich als (neu) Camper. Mit dabei ein 4 Personenzelt, neu gekauft aus dem Otto-Katalog, ein aufblasbares Kajak (auch Otto-Katalog) und natürlich unseren Elektrogrill (Amazon).
Edersee? Wo das ist? Der Edersee liegt im Bundesland Hessen. Also in Deutschland – klar. Vom Hessenland weis ich eigentlich nicht viel, genauer gesagt eigentlich nichts. Ist auch nicht wichtig, wichtig ist nur, es ist eine schöne Gegend und sogar meine Eltern haben dort schon ihren Urlaub verbracht. Und wir wollen jetzt das erste Mal unseren Urlaub dort verbringen. Natürlich haben wir zuvor etwas gegoogelt und geschaut, wo unser Reiseziel liegt und was es dort zu entdecken gibt. Mit dem Entdecken ist das immer so eine Sache; eigentlich möchte ich im Urlaub ja nichts „entdecken“. Mir reicht es, wenn ich meine Ruhe habe und die Kinder nicht nerven. Den Kindern reicht das natürlich nicht: Sie wollen Action und Spaß, meine Frau Unterhaltung, und etwas Luxus…Luxus… ist nicht drin. Deshalb campen wir. Das Auto ist gepackt – die Reise kann beginnen…
Nach einer langen Fahrt von 15 Minuten mussten wir halt machen. Sarah musste aufs Klo, meine Frau wollte Kaffee und Tim wollte … am liebsten wieder nach Hause und mit dem PC spielen. Wir hielten also an einer dieser Tankstellen, wo es auch gleich ein Burger-Restaurant, einen Supermarkt, einen Frisör und eine Toilette gab. Natürlich gab es auch Benzin, aber vollgetankt hatte ich tags zuvor. Also nur schnell einen Parkplatz finden, Frau und Tochter aus dem Auto lassen und kurz abwarten. Dann könnte es weiter gehen.
War aber nicht so: Nach gefühlten 20 Minuten waren beide noch nicht wieder zurück. Also gingen Tim und ich nachsehen. Ich muss zugeben, es war mir schon ein wenig mulmig, dass vollgepackte Auto ohne Aufsicht alleine stehen zu lassen, aber was hatte ich für eine Wahl, wenn ich nicht weiter warten wollte? Kurz hinter dem Burger-Restaurant sah ich dann Anna. Sie stand vor einem Kaffeeautomaten der so groß war wie unser doppeltüriger Kühlschrank. Ob Sie einen Kaffee hatte – nee … der Kaffeeautomat streikte, hatte bereits 50 Cent einverleibt, und den Kaffee ausgegeben ohne zuvor den Pappbecher zu schicken. Klasse. Meine Frau war auf 180. Sie verfluchte das Kaffeeding während sie sich die helle Bluse trockenrieb. Ein eklig brauner Kaffeefleck zierte die Knopfleiste. Jetzt bloß nicht vom Kaffee reden, dachte ich. Also frug ich: “Wo bleibt denn Sarah?“ War aber auch falsch. Meine Frau schilderte mir mit schneller Stimme, was es hier für ein Akt sei auf Toilette gehen zu können. Man müsse erst ein Parkticket ziehen (so nannte sie es, da es genauso aussah wie das Ticket, welches man immer im Parkhaus bekommt). Ich fragte: „Und ging die Schranke auf?“ „Von wegen Schranke – Drehkreuz,“ schrie sie.
Die Leute schauten schon – zumindest kam es mir so vor. Jetzt nur kein Aufsehen mehr und schnell zurück. Klappte auch, da Sahra zu uns kam. Natürlich wetterte sie sofort los, was das hier alles für eine Schei…e ist. Das Toilettenticket, welches übrigens einen Euro gekostet hatte, tauschten wir an der Kasse des Shops noch gegen eine kleine Packung Kaugummi ein und eilten zum Auto.
Nach zwei weiteren hoffnungslosen Fälle an einer Tankstelle einen Kaffee aufzutreiben, hatten wir endlich Glück und meine Frau bekam Ihren Kaffee. Es war so ein Einzelexemplar aus einer Pad-Maschine. Köstlich, fand sie. Ich mochte diese Art Kaffee dafür überhaupt nicht. Anna hatte gerade den letzten Schluck Kaffee genossen, als uns auffiel, dass Tim nicht bei uns war. Panik; 80km mit wahnsinniger Geschwindigkeit zurück. Tim saß neben dem Kaffeeautomaten, der so groß und hässlich war wie unser Kühlschrank und spielte friedlich mit seinem Nintendo. „Wann sind wir da?“ fragte er, als er uns sah.
Ich gebe zu, so sehr wie wir uns über das Wiedersehen mit Tim gefreut hatten, so mies war aber auch unsere Stimmung; 2x 80km unnütz verfahren. Wir hätten schon längst am Ziel sein können. Natürlich war ich schuld. Ich hätte es merken müssen, dass Tim fehlte. Klar.
Die Fahrt ging weiter. Nach 3 ½ Stunden (gefühlte 5 Tage), Sarah musste zwischenzeitlich nur noch zwei Mal aufs Klo, Tim seltsamerweise nicht, kamen wir endlich am Campingplatz an. Wir reihten uns mit unserem Fahrzeug in die Warteschlange vor dem Eingang ein und warteten bis wir an der Reihe waren. Leider dauerte dies geschlagene 50 Minuten, da der zuständige Mitarbeiter an der Anmeldung gerade Mittagspause hatte. Es war heiß. Wir waren voll genervt.
Schließlich ging es weiter und als wir an der Reihe waren, teilte uns der freundliche Herr von der Anmeldung mit, dass wir einen Zeltplatz gebucht hatten. Die Zufahrt zum Campingplatz mit dem PKW sei nur für Caravan oder Wohnwagen erlaubt. Camper welche nur zelten, müssten Ihr Auto dort hinten auf dem Parkplatz parken (er zeigte Lichtjahre weit entfernt nach Süden…) und zu Fuß (mit Ihren Sachen) die zugeteilten Campingparzelle – er gab uns einen Plan und einen Schein mit einer Nummer – aufsuchen.
Machten wir. Kein Problem. Auto gewendet, Parkplatz aufgesucht, Gepäck gleichmäßig auf alle Familienmitglieder verteilt und zur Parzelle gebracht. Naja, war nicht ganz so leicht. Ich fühlte mich wie ein Packesel aus vergangenen Zeiten. Genau 3x mussten wir die Strecke von Parzelle bis zum Auto ablatschen, bis endlich alles ausgeladen war und seinen Bestimmungsort erreicht hatte. Während Anna und ich „latschten“, bewachte Tim das zurückgelassene Auto und Sarah die bereits am Ziel angekommen Gepäckstücke. Gut das unser Gepäck Rollen hat. Nur doof, dass der größte Teil des Weges zu unserer Parzelle aus Schotter bestand.
Zelt aufbauen:
Zelte sind voll gemeine Dinger, haben Sie das gewusst? Besonders, wenn man wie ich, die Heringe vergessen hat mitzunehmen. Gut das wir viel Selbstvertrauen hatten. War aber auch notwendig, da ich bemerkte, wie sich die Schar unserer Zeltnachbarn, welche Ihre Sitzposition auf den Campingstühlen mit Blickrichtung zu uns, langsam erhöhte. Es hatte sogar den Anschein, als würde sich ein schelmisches breites Grinsen auf Ihren Gesichtern breit machen.
Ha, wir hatten die Lösung gefunden: Schnell wurden die Stangen des Vorzeltes zu Ersatzheringen umfunktioniert, diese mit den Schuhen in die Erde gerammt und – fertig. Nach 60 Minuten und mit vereinten Kräften hatten wir es geschafft. Das Zelt stand und die Zuschauer verloren das Interesse. Zelt stand, Gepäck verstaut, endlich Urlaub, auf zum See. Nach ein paar Gehminuten kamen wir an den kleinen Sandstrand des Sees an. Herrlich. Der gefühlte heißeste Sommer der letzten 20 Jahre und wir hatten keine Sonnenschutzcreme bei. Egal, so würden wir wenigsten braun werden. Gut geröstet gingen wir 3 Stunden später zurück zum Zelt. Schnell noch unter der Dusche (in einer 1m² engen Umgebung mit eiskaltem Wasser) etwas frisch gemacht und dann auf in die Stadt. Die Stadt lag etwas höher etwa neben der großen Burg – das wusste ich noch aus Kindertagen. Der beste Weg dort hinauf war es, dass Auto zu nehmen, aber Sarah hatte die unglaubliche Idee (wegen der Fitness) doch zu Fuß in die Stadt zu gehen. Machten wir – naja, nicht so ganz. Wir gingen etwa 500 Meter bis zur Kurve…
Dort befand sich die Seilbahn – grins. Hatte ich noch gut in Erinnerung. Eine kleine Gondelbahn, Jahrzehnte am selben Ort, Tickets kaufen, einsteigen, und los geht’s. Mit der Seilbahn, genau heißt diese: Kabinenseilbahn. Je zwei Passagiere sitzen sich in der Kabine gegenüber, führt direkt hoch zum Schloss. Direkt daneben das Stadtzentrum. Schneller und einfacher kamen wir kaum zur Stadt, ideal.
Anna fuhr mit Tim und Sarah mit mir. Die Gondeln wurden durch zwei große Drehscheiben angetrieben und bewegten sich alle gleichzeitig. Sarah und ich fuhren direkt hinter Anna und Tim. Schön war es. Rechts und links unter uns – geschätzte 100 Meter – ein dichter Tannenwald. Idyllisch schön. Vogelgezwitscher, Sonnenschein, gute Laune. Schnell mache ich ein paar Fotos von Sarah und von der Gondel mit Anna und Tim vor uns. Tim bemerkte mich und winkte an der Scheibe seiner Gondel.
Es ruckte! Die Gondel blieb stehen. Alle Gondeln blieben stehen. Das Seil bewegte sich nicht. Das Gegenseil auch nicht. Alle Gondeln, bergauf / bergab standen.
Was war geschehen? Wir schauten aus den kleinen Seitenfenstern der Gondel, ob wir etwas entdecken konnten. Nichts, außer das alles stillstand. In ca. 100 Meter Höhe. Sarah schaute mich panisch an. Ich versuchte ruhig zu wirken, sagte: „Es geht bestimmt bald weiter. Wir können ja Mama mal auf dem Handy anrufen, dann vergeht die Zeit schneller.“
„Ich muss Pippi.“
Bevor ich die Pin meines Handy eingeben konnte sagte Sarah: „Ich muss Pippi.“
„Ich muss aufs Klo, warum fährt das Ding nicht weiter?“
„Mach was!“
„Mein Bauch tut weh, meine Blase platzt, ich will raus hier, tu etwas!“ „Hiiilfeeee..“
Ruhe. Sie war sofort wieder ruhig. Bloß jetzt nicht bewegen, dachte ich. Nicht schaukeln. Handy. Ich habe Anna dran: „So ein Misst, warum geht das hier nicht weiter? Sarah muss mal und ich kriege gleich die Kriese.“ „Tim fängt an zu schaukeln, sagt Anna, ich scheuere dem gleich ein paar wenn der nicht aufhört. Wir stürzen noch ab!“
„Bleib ruhig, sage ich, es geht bestimmt gleich weiter.“
„MAMA, ICH MUSS MAL GANZ NÖTIG PIPPI, UND PAPA MACHT NICHT, DASS DAS SCHEISSDING WEITER FÄHRT!“ Schreit Sarah in mein Handy.
Ich kriege die Krise, Krise, Krise…
Die nächsten 10 Minuten hörte ich nur:
„Ich muss Pippi.“
„Mir platzt die Blase.“
„Scheiß Urlaub.“
„Ich hasse Dich.“
Es ruckt. Ich hüpfe kurz von der Sitzbank, dann bewegt sich die Gondel weiter. Es geht aufwärts. Schön.
Oben angekommen, große Diskussion. Alle reden durcheinander. Tim berichtet begeistert vom erlebten, Anna (ganz blass) bekundet: „In diese Gondel, geh ich nie wieder rein!“ Ich erfahre dann vom Mann an der Kasse, dass die Bahn angehalten wurde, damit ein Rollstuhlfahrer einsteigen konnte. Das ist natürlich logisch und völlig OK. Also kein defekt, alles bestens. Wenn ich dies Anna erzähle, fährt sie bestimmt wieder mit der Bahn zurück.
Sarah war weg. OK, nur in die Büsche, aber das Geräusch welches aus dem Busch kam war enorm: Wasserfall.
Bevor wir in die Stadt gingen, machten wir einen kleinen Abstecher zum Schloss.es lag rechter Hand und war in 5 Minuten zu erreichen. Das Schloss oder auch die Burg genannt ist eine stattliche schöne, sehr gut erhaltene Burgfeste auf einen 120m hohen Berg. Das Wahrzeichen der Region, immer eine Reise wert. Wir gingen durch die hohen Torbögen entlang der äußeren Wallgänge bis hinauf zum Innenhof mit atemberaubender Aussicht auf den See.
„Hey Papa, sagte Sarah, „wusstest du eigentlich, dass diese Burg im 18. Jahrhundert ein Frauengefängnis war?“ Ich war überrascht: „Woher weißt Du das?“
„iPhone“ – die Antwort.
Tim wollte ins Burgmuseum. OK – gingen wir also rein. Tolle Atmosphäre, gruselig, dunkel - mit Verlies und elektronischem Museumsführer, welcher uns über die Geschichte des Schauplatzes informierte. Alle Familienmitglieder waren begeistert. Ein tolles Museum…
Als der Rundgang beendet war – totaler Weltuntergang! Am Ausgang des Burgmuseums prasselte ein Hagelschlag von ungeahnten Ausmaßen nieder. Das totale Sommergewitter brach über uns herein. Also hieß es abwarten. Regenschirm bei Gewitter soll ja auch nicht der Bringer sein, warten ist da auf jeden Fall besser.
Nach 30 Minuten war der Spuk vorbei und wir verließen die Burg und machten uns auf; Richtung Stadt.
Unglaublich, dass vor wenigen Minuten noch ein Unwetter dominierte, jetzt schien die Sonne bei blauem Himmel. Schön. Vor uns die Stadt. Ein wundervoller Geruch strömte uns entgegen: Pizza. So mag ich es: Gehen wir also Pizza essen. Alle fanden die Idee gut, Anna und die Kinder schleckten vorher noch ein Eis.
Nehme ich es vorweg: Ich habe meine Pizza nicht bekommen! Wir irrten etwa eine Stunde im Stadtzentrum umher und haben die Pizzeria nicht gefunden. Ich war sauer. Ok – wir haben uns arrangiert und besprochen, unsere Dosensuppe – Feine Ungarische Suppe – wenn wir zurück am Campingplatz sind, zu essen. Nachdem das geklärt war, machten wir uns auf zum Rückweg.
Alle Familienmitglieder die zuvor geschrien hatten: „Mit der Seilbahn fahren wir nie wieder.“ Stiegen schweigend ein. Der Rückweg klappte ohne Zwischenfälle.
Die Suppe war köstlich. Na gut, ich gebe es zu, sie war durch meine Peperoni-zugabe so scharf, dass wir gar nichts mehr schmeckten. Sarah und Tim waren sauer – Anna sagte gar nichts. Ihre Blicke reichten. Die Nacht verlief ohne weitere Vorkommnisse. Ich war später überrascht, aber es war ganz friedlich. Wir schliefen auf unseren Luftmatratzen, alle vier im selben Zelt, keine Probleme. Nach etwa 2 ½ Stunden waren wir alle wach. Es herrschten etwa (gefühlte) -10 Grad Celsius im Zelt. Trotz unserer guten Schlafsäcke zitterten wir am ganzen Leib. Wir rückten näher zusammen, doch ruhe fanden wir nicht. Legte sich das Kältegefühl, schreckten wir auf, da jedes kleine Geräusch gleich eine Panik auslöste. „Da schleicht jemand ums Zelt.“ „Igitt, hier krabbelt etwas.“ „Mama, ich will nach Hause.“
Ok – der Morgen kam irgendwann. Wir sahen aus wie Zombies und ich für meinen Teil, fühlte mich auch so. Kaffee. Zuerst mal einen Kaffee, dann wird es schon…
Später gingen wir zum Badestrand. Schön. Die Sonne brannte, vergessen war die kalte Nacht. Aufgrund unseres Schlafmangels in der vergangenen Nacht, schliefen wie dann auch sehr schnell am Stand ein…
Nach 5 Stunden hatten wir alle den Sonnenbrand des Jahrhunderts. Klasse! Sandverklebt und mit langsamen Bewegungen machten wir uns zurück zum Zelt.
Am nächsten Tag machten wir alles besser. Zuerst mal mit dem Auto in die Stadt. Gegessen haben wir im Restaurant „Zur alten Post“. Klassische Hausmannskost – aber OK. Anschließend ein kleiner Stadtbummel. Zurück am Campingplatz gingen wir dann nicht mehr zum Strand: Anna hatte eine Sonnenallergie – somit war Strand out. Gegen Abend ließen wir unser (aufblasbares) Kajak zu Wasser. Wir, das waren Sara, Tim und ich. Das Boot bot Platz für 2 Personen, aber wir rückten zusammen. Ann schaute uns zu. Sie wollte dann beim zweiten Mal mit den Kindern fahren. Ich durfte Paddeln. Klappte ganz gut, wenn da bloß nicht der Angler gewesen wäre. Es blitzte kurz auf, ein Zischlaut, ein blubberndes Geräusch. Sarah schrie. Tim schrie. Das Kajak neigte sich. Die Luft entwich. Ich schrie ebenfalls: „Blinker – der Mann angelt mit Blinker!“ Ich zeigte noch auf den Angelhaken, der aussah wie ein kleiner dreigezackter Anker, dann sank das Boot.
Zum Glück waren wir alle gute Schwimmer und nicht weit vom Ufer entfernt.
Bevor die Nacht hereinbrach, trafen wir die Entscheidung, wieder zurück nach Hause zu fahren. Camping, war wohl doch nicht unser Ding.
@Namen und Alter geändert ;)
Autor:Roland Störmer aus Unna |
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