Stolpersteine in Unna: Die Hoffnung starb zuletzt
Am Sonntag (23. September) findet in Unna die größte Stolperstein-Verlegeaktion statt, die es bisher gegeben hat. 166 der Gedenksteine werden vor dem heutigen „Boni“, dem St. Bonifatius Wohn- und Pflegeheim an der Mozartstraße verlegt. Hier befand sich bis 1942 ein jüdisches Altersheim.
Die Geschichte des jüdischen Altersheims in Unna begann 1898 mit dem Erwerb des Grundstückes an der heutigen Mühlenstraße durch den Asylverein des Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes. 1904 erfolgte die Grundsteinlegung unter der Regie des neugegründeten Vereins „Israelitisches Altersheim in Westfalen“, 1905 zogen die ersten jüdischen Senioren ein.
Das Altersheim war nicht als Pflegeeinrichtung konzipiert, hier sollten gesunde Juden ihren Lebensabend selbstständig gestalten. Gewohnt wurde in großzügigen und gemütlich eingerichteten Zimmern, wie Fotos aus dieser Zeit zeigen.
Mit Beginn der Herrschaft der Nationalsozialisten 1933 veränderten sich die Lebensumstände der Heimbewohner drastisch. Schon der 26. Jahresbericht des Altersheims für die Jahre 1932 und 1933 spricht von großen Sorgen und Angst vor der Zukunft: „Gerade waren wir im vergangenen Jahr im Begriffe, den Bericht für 1932 zu veröffentlichen, da vollzog sich ein Umschwung, der für unsere Glaubensgemeinschaft verhängnisvoll wurde. … Jeder hatte den Kopf voller Sorgen, weil er bangte um das kommende Morgen.“
Die Juden fühlten sich sicher in der Provinz
Vor allem die Finanzlage verschlechtert sich. Eigentlich sollten die Senioren in Unna kostenfrei wohnen, doch Spenden und andere Einnahmen brachen weg, so dass man sich genötigt sah, von jedem neuen Bewohner eine Aufnahmegebühr in Höhe von 200 Mark einzufordern.
Im Gegensatz zu den zurückgehenden Einnahmen nahm das Interesse an einem Platz in diesem Altersheim stark zu. „Wahrscheinlich glaubten die Juden, hier in der westfälischen Provinz relativ sicher zu sein vor Terror und Verfolgung“, vermutet Unnas Stadtarchivar Thomas Wadenga.
Mit den Pogromen von 1938 wird der Heimleitung klar, wie bedrohlich die Lage auch in Unna wird. In einem Brief an das holländische „Komitee für besondere jüdische Belange“ bittet man um die Aufnahme der 42 Heimbewohner. „Aber es ist dann bei dieser Bitte geblieben“, weiß Wadenga.
Ab Juni 1941 übernimmt die städtische Verwaltung die Zuweisung der Heimbewohner. Zuvor wählte die Heimleitung die Bewohner aus, nun übernahm die Verwaltung diese Arbeit. „Dadurch erreichte man eine völlige Kontrolle der Bewohner“, erklärt Werner Fischer vom Stadtarchiv. Per Verordnung war die Heimleitung nun auch gezwungen, immer mehr jüdische Senioren aufzunehmen – bis hin zu einer doppelten Überbelegung.
„Der psychische Druck muss enorm gewesen sein“, vermutet Wadenga. Die räumliche Enge, die ständigen neuen Repressalien durch die Nazis. „Den Bewohnern wurden zum Beispiel Zeitungen verboten und Radios weggenommen“, so Fischer.
Immer wieder tauchten manipulierte Daten auf
Bei ihrer umfangreichen Recherchearbeit im Vorfeld der Stolperstein-Aktion machten Wadenga und Fischer zudem eine erschreckende Erfahrung: „Wir haben immer wieder Daten und Akten gefunden, die manipuliert wurden“, so Wadenga. So wird in einem der Jahresberichte ein Mitarbeiter aus Holzwickede für jahrzehntelange Mitarbeit gelobt, in den Meldekarten ist diese Person jedoch nicht zu finden. Oder die beiden Historiker fanden eine Meldekarte mit dem Vermerk „1905 zugezogen in die Adolf-Hitler-Straße“ – die es 1905 natürlich noch gar nicht gegeben haben kann. „Entweder wollte man diese Personen quasi amtlich nicht existent machen“, so Wadenga, „oder es war schlicht Schlampigkeit im Umgang mit jüdischen Unterlagen“, ergänzt Werner Fischer.
Am 22. Juli 1942 passiert dann das Schrecklichste: Ein Großteil der Heimbewohner und Mitarbeiter wird in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Einen Monat später werden die letzten sieben hochbetagten Einwohner nach Bielefeld in ein Siechenheim verschleppt, „zum baldmöglichen Sterben“, wie es Fischer ausdrückt. Einige Tage später werden Mutter und Töchter Weisner ebenfalls nach Bielefeld deportiert, um in diesem Siechenheim zu arbeiten. Sie hatten zuvor als Pflegerinnen im jüdischen Altersheim gearbeitet. Sie starben später im KZ Theresienstadt.
Ruth Weisner hoffte vergeblich auf Rettung
Noch 1943 schreibt Ruth Weisner in einem Brief von ihrer Hoffnung, das Konzentrationslager bald verlassen zu können. Eine vergebliche Hoffnung: Mutter und beide Töchter starben in Theresienstadt. Für 166 andere Mitarbeiter und Bewohner des Israelitischen Altersheims in Unna, die zwischen 1933 und 1942 starben, werden am kommenden Sonntag (23. September) Stolpersteine entlang der Mauer des ehemaligen jüdischen Altersheims und heutigen St. Bonifatius-Heims an der Mozartstraße verlegt. Damit wir uns immer daran erinnern, dass diese Menschen sehr wohl existiert haben.
Autor:Elke Böinghoff aus Unna |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.